Kerntechnische Anlagen werden am Ende ihres Lebenszyklus stillgelegt und rückgebaut. Bei einem kommerziell genutzten Kernkraftwerk muss ein Anteil von etwa einem bis zwei Prozent der Masse der Endlagerung zugeführt werden. Dies erfordert eine Konditionierung der radioaktiven Abfälle in adäquate Behälter. Hierfür müssen die Bauteile zunächst zerteilt werden. In Bezug auf metallische Abfälle können unterschiedliche Schneidverfahren zum Einsatz kommen, darunter mechanisches Schneiden, thermisches Schneiden und Wasserstrahlschneiden. Diese weisen je nach Anwendungsbereich und Materialart verschiedene Vorzüge auf.
Radioaktive Großkomponenten unter Wasser trennen
Eine besondere Herausforderung stellt die Bearbeitung von kontaminierten und aktivierten Großkomponenten dar, wie beispielsweise dem Reaktordruckgefäß. Diese Großkomponenten bestehen aus Stahl und weisen Wandstärken von mehr als 100 mm auf. Sie sind mit Plattierungen aus korrosionsbeständigem Material versehen, wodurch Materialpaarungen innerhalb der Struktur vorliegen. Infolge der signifikanten radioaktiven Strahlung müssen die Trennprozesse unter Wasser durchgeführt werden, um die abschirmende Wirkung des Wassers zu nutzen und das Personal vor der Strahlung zu schützen.
Das Institut für Werkstoffkunde (IW) der Leibniz Universität Hannover erforscht diverse thermische Unterwasserschneidverfahren, welche den Vorteil aufweisen, nahezu rückstellkraftfrei trennen zu können. Das Kontaktlichtbogentrennschleifen (engl. Contact Arc Metal Grinding, kurz CAMG, siehe Bild 1) basiert auf der Erzeugung eines Hochstromkurzlichtbogens mittels einer rotierenden, scheibenförmigen Elektrode. Der Lichtbogen schmilzt das Werkstück auf und trennt es somit. Dies ist bei allen elektrisch leitfähigen Materialien möglich. Die Eingriffsverhältnisse erinnern dabei an einen Trennschleifer, der physikalische Hintergrund des Trennprozesses ähnelt jedoch eher dem Funkenerodieren (engl. Electrical Discharge Machining, kurz EDM).
Herausforderungen beim Einsatz von CAMG
Derzeit ist der Verschleiß an der Schneidscheibe noch zu hoch, um einen ökonomisch sinnvollen Einsatz im kerntechnischen Rückbau oder in anderen Anwendungsbereichen wie maritimen Umgebungen zu ermöglichen. Die werkstofftechnische Herausforderung besteht in der Verwendung eines Materials, welches zeitgleich eine gute elektrische Leitfähigkeit, einen hohen Schmelzpunkt, hohe mechanische und thermische Belastbarkeit sowie eine gute Fertigbarkeit bietet.
Ein neuer Ansatz zur Lösung dieses Problems besteht in der Anwendung additiver Fertigungsverfahren, welche im Rückbau kerntechnischer Anlagen bisher nur eine marginale Rolle spielten. Diese erlauben die Entwicklung und Fertigung maßgeschneiderter Werkstoffprofile, die spezifisch auf den jeweiligen Anwendungsfall abgestimmt sind. Die hohe Flexibilität des additiven Fertigungsverfahrens erlaubt die schnelle und werkzeuglose Produktion von Prototypen, wodurch zügige Entwicklungsfortschritte durch iterative Prozessansätze ermöglicht werden.
Die Forschenden am IW haben dafür einen Ansatz entwickelt, bei dem der verschleißbeständige Werkstoff lediglich im stark belasteten Bereich der Elektrode am Umfang eingebracht wird. Zu diesem Zweck wird der Funktionsbereich der Elektrode auf der Umfangsfläche einer kostengünstigen Stahlscheibe additiv aufgebracht. Die Prozesskette ist in Bild 2 dargestellt. Der zuvor beschriebene Ansatz konnte bereits mittels Lichtbogenauftragschweißen (engl. Wire Arc Additive Manufacturing, kurz WAAM) erprobt werden und wird nun mittels Laserauftragschweißen erforscht, da dieses die Möglichkeiten des zuvor genannten Verfahrens stark erweitert. Zu den erweiterten Möglichkeiten zählt der Einsatz von pulverförmigen Werkstoffen sowie die präzisere und feinere Erzeugung von Schweißnähten, was die Herstellung von Verbundwerkstoffen ermöglicht.
In der kerntechnischen Industrie wird der Arbeitssicherheit und dem Strahlenschutz – insbesondere im Hinblick auf kontaminiertes Material – eine hohe Bedeutung beigemessen. Somit kann es in einigen Fällen sinnvoller sein, auf kostspieligere Materialien für industrielle Anwendungen zurückzugreifen, da auf diese Weise die Menge an neu eingesetztem Material, das am Ende des Prozesses endgelagert werden muss, reduziert wird. Darüber hinaus ist die Verwendung bestimmter Werkstoffe trotz verbesserter Lebensdauerwerte aufgrund möglicher Aktivierung nicht ratsam. Dies trifft beispielsweise auf kobalthaltige Werkstoffe zu.
Additiv gefertigte Elektroden erfolgreich getestet
Im Rahmen der Untersuchungen an der Versuchsanlage des IW wurden diverse Werkstoffe mit den zuvor beschriebenen Eigenschaften einer Prüfung unterzogen. In einem ersten Schritt wurden Kupferlegierungen getestet. Es konnte festgestellt werden, dass die elektrische Leitfähigkeit des Materials zwar notwendig ist, aber eine untergeordnete Werkstoffeigenschaft für den CAMG-Prozess darstellt. Demgegenüber spielen die mechanische und thermische Belastbarkeit des Materials die wesentlich dominantere Rolle. Aus diesem Grund wurden Partikel aus dem hochschmelzenden und harten Material Wolframschmelzkarbid in die Kupferlegierungen eingebracht. Dies resultierte in einer Steigerung der Lebensdauer um den Faktor 19.
Darüber hinaus wurden temperaturbeständige und verschleißfeste Legierungen auf der Basis von Eisen, Nickel und Cobalt untersucht. Die Lebensdauer der Scheiben mit Eisen- und Nickellegierungen wiesen eine ähnliche Tendenz auf wie die mit Wolframschmelzkarbid verstärkten Elektroden. Dies entspricht einer Steigerung um den Faktor drei im Vergleich zur kostengünstigen Variante aus Baustahl, welche als Referenzelektrode diente.
Einsatz an kontaminierten Großstrukturen in Planung
Gegenwärtig wird auf dem Gelände des Projektpartners EWN Entsorgungswerk für Nuklearanlagen GmbH in Lubmin eine Zerlegeeinrichtung für Großkomponenten errichtet. Im Rahmen des Vorhabens ist geplant, dass aktivierte Bauteile sowie die im Zwischenlager Nord (ZLN) zwischengelagerten Reaktordruckgefäße und Dampferzeuger zukünftig unter Wasser zerlegt, konditioniert und endlagergerecht verpackt werden. Das Ziel besteht in der Zentralisierung der Entsorgungsanlagen am Standort sowie in der Optimierung der Betriebsabläufe.
Derzeit ist vorgesehen, dass die Inbetriebnahme der Zerlegehalle im Jahr 2025 erfolgt. Im eingebauten Nasszerlegebecken erfolgt zunächst die Zerlegung kleiner Bauteile. In den Jahren 2030/31 ist seitens der EWN zudem die Zerlegung aktivierter Großkomponenten, die radiologisch hoch belastet sind, vorgesehen. Die Nutzung eines noch nicht zugelassenen Trennverfahrens wie CAMG in der Zerlegehalle erfordert die Durchführung von Genehmigungs- sowie Freigabeverfahren durch die zuständigen Behörden sowie eine TÜV-Prüfung. Daher ist eine frühzeitige Integration dieser Planungsschritte in den Bau und die Planung der Zerlegearbeiten in der Zerlegehalle in Lubmin notwendig.