Der Forschungsbereich „Quantentechnologien“ des IMPT befasst sich unter anderem mit der Miniaturisierung von Quantensystemen. In Zusammenarbeit mit dem Deutschen Zentrum für Luft- und Raumfahrt e.V. (DLR) sowie dem Institut für Quantenoptik (IQO) der Leibniz Universität Hannover entwickelt das IMPT die Atomchips, die die zentrale Komponente eines Quantengravimeters darstellen. Auf dem Atomchip wird ein Bose-Einstein-Kondensat generiert, das die Vermessung von Erdgravitation mit höchster Genauigkeit ermöglicht.
Das Atomchipsystem
Das Atomchipsystem selbst besteht aus zwei Komponenten aus Silizium mit Leiterbahnen, die mithilfe von Ätzen, Beschichten, Goldgalvanisieren und Polieren mikrotechnologisch im institutseigenen Reinraum hergestellt werden. Abschließend wird auf dem oberen Chip eine hochreflektierende Spiegelbeschichtung abgeschieden, um die Laserstrahlen möglichst verlustfrei zu reflektieren.
Die beiden Chips müssen danach auf Keramikträgern befestigt werden, die die notwendigen elektrischen Zuleitungen führen. Über die Leiterbahnen auf den Siliziumkomponenten entstehen strominduzierte Magnetfelder, die in Kombination mit externen Laserstrahlen eine sogenannte magneto-optische Falle ergeben. Darin kann eine Atomwolke in einem mehrstufigen Prozess eingefangen, komprimiert und schließlich zu einem Bose-Einstein-Kondensat abgekühlt werden.
Im realen Einsatz in einer Vakuumkammer ist das Atomchipsystem fest in einer Messvorrichtung integriert. Daher müssen die Einsatzgrenzen des Systems genau bekannt sein und in vorherigen, ausgiebigen Funktionstests ermittelt werden. Das Wissen daraus kann anschließend auch dazu dienen, das Atomchip-System zu optimieren und die nächste Generation der Atomchips zu designen. Im Fokus der Testreihen stehen vor allem die elektrischen, thermischen, magnetischen, mechanischen, oberflächen- und ultrahochvakuumrelevanten Eigenschaften.
Atomchips umfassend evaluiert
Elektrisch | Die Leiterstrukturen in den Chips und den Keramikträgern werden mit Strom betrieben, um das erforderliche Magnetfeld zu erzeugen. Deswegen ist die elektrische Leitfähigkeit der verschiedenen verwendeten Materialien ein entscheidender Faktor für den Betrieb des Atomchipsystems. Zur Überprüfung wird der elektrische Widerstand der Gold-Leiterbahnen mit Vier-Leiter-Messung präzise bestimmt. Diese Technik bietet den Vorteil, dass die kleinen Widerstände der Zuleitungen präzise vermessen werden können. Die Stromstärke in den Goldstrukturen bestimmt maßgeblich die Stärke des erzeugten Magnetfelds, sodass mit höherer Stromstärke das Bose-Einstein-Kondensat in kürzerer Zeit erzeugt werden kann. Die maximale Stromtragfähigkeit der Goldleiterbahnen wird zusätzlich untersucht, bis es zur thermischen Überlastung kommt.
Thermisch | Im laufenden Betrieb des Atomchipsystems kommt es durch elektrische Widerstände zu einer Erwärmung, die eine intensive Emission von Schwarzkörperstrahlung zur Folge hat, was die Funktion der magneto-optischen Falle beeinträchtigt. Deshalb wird die Betriebstemperatur bestimmt. Dazu kommt eine Infrarotkamera zum Einsatz, welche die vom Atomchipsystem emittierte Schwarzkörperstrahlung detektiert. Aus Intensität und spektraler Verteilung lässt sich die Temperatur des Systems ableiten. Mit einer zweiten Methode wird die Temperatur anhand der Widerstandsänderung der stromführenden Goldstrukturen und des thermischen Koeffizienten vom Gold in situ präzise berechnet. Der Vorteil bei dieser kontinuierlichen Methode ist, dass keine zusätzlichen Sensoren oder Verdrahtungen für eine Temperaturüberwachung nötig.
Magnetisch | Die Leiterstrukturen in Chips und Keramiken ermöglichen diverse Magnetfeldkonfigurationen, die für die Erzeugung eines Bose-Einstein-Kondensats erforderlich sind. Daher ist die präzise Magnetfeldvermessung ein zentraler Bestandteil der Systemcharakterisierung. Zum Zwecke dieser Charakterisierung wird ein 3D-Drucker des Instituts als Magnetfeld-Mapper genutzt: Der Druckkopf wird mit einem 3D-Hallsensor ersetzt, der die Magnetfeldstärke in drei Raumdimensionen präzise misst, während die Schrittmotoren den Sensor durch ein definiertes Messvolumen bewegen. Das Ergebnis ist eine dreidimensionale Darstellung der Magnetfeldstärke.
Mechanisch | Die Silizium-Chips und Keramikträger sind dauerhaft miteinander verbunden, sodass ein Versagen der Fügestellen unter den Umgebungseinflüssen des Einsatzbereichs unweigerlich zum vollständigen Systemausfall führt. Solche Belastungen sind insbesondere Vibrationen und mechanische Spannungen während Handhabung und Transport. Ein Extremfall tritt beispielsweise auch dann auf, wenn das Atomchipsystem auf einer Forschungsrakete ins Weltall transportiert wird. Zur Simulation dieser Bedingungen wird ein Vibrationstest durchgeführt, bei dem das System auf einem elektrodynamischen Shaker montiert und definierten Vibrationsprofilen unterzogen wird (Norm: ECSS-E-HB-32-26A). Danach werden die Eigenfrequenzen des Systems vor und nach dem Test vermessen, da eine Veränderung unerwünscht ist, und das System auf Funktionalität geprüft.
Oberflächengüte | Laserstrahlen bilden den optischen Teil der magneto-optische Falle und werden idealerweise ohne Verluste auf dem oberen Siliziumchip reflektiert. Dies wird durch die speziell auf die Wellenlänge des Laserlichts angepasste, hochreflektierende Spiegelbeschichtung ermöglicht. Die Oberflächengüte des Chips und der eigentlichen hochreflektierenden Beschichtung spielt eine entscheidende Rolle für eine möglichst verlustfreie Reflexion. Um eine Annäherung an eine ideal glatte Oberfläche zu erzielen, wird der gesamte Chip in einem chemisch-mechanischen Polierprozess unter Einsatz einer Diamantsuspension behandelt. So wird eine mittlere Oberflächenrauheit im zweistelligen Nanometerbereich hergestellt und über Konfokallasermikroskopie verifiziert.
Ultrahochvakuum | Die finale Anwendungsumgebung des Systems ist im Ultrahochvakuum, da dort ein Bose-Einstein-Kondensat für gravimetrische Messungen erzeugt wird. In den Laboren des DLR oder des IQO werden dafür Experimente in einer Vakuumkammer durchgeführt, die in ein Ultrahochvakuum versetzt wird, um Störeinflüsse durch Gasmoleküle der Umgebungsatmosphäre zu minimieren. Auch am institutseigenen Vakuum-Teststand wird der Aufbau geprüft; hier jedoch im Hinblick auf die Betriebstemperatur, und deren Unterschied zu atmosphärischen Bedingungen, sowie der Eignung aller verwendeten Materialien für die Ultrahochvakuum Umgebung. Dafür ist es essenziell, die Ausgasrate aller Komponenten zu bestimmen, was wiederum in Zusammenarbeit mit den Wissenschaftler*innen des Hannover Institute of Technology (HITec) geschieht.
Zukunft des Atomchipsystems
Im Rahmen der umfassenden Evaluation des Atomchipsystems hat das IMPT die zentralen Eigenschaften, potenziellen Schwachstellen sowie Einsatzgrenzen identifiziert, die zu einem optimierten Prozessplan für das Atomchipsystem geführt haben. Erste verbesserte Versionen wurden bereits an das DLR und IQO ausgeliefert, das die Atomchipsysteme weiterhin intensiv testet und anschließend für quantengravimetrische Experimente einsetzt. Die Forschung zeigt klar, dass ein tiefes Verständnis der Einsatzgrenzen zu einer zuverlässigeren und zugleich anspruchsvolleren Gestaltung zukünftiger Experimente führt.
Ein besonderer Aspekt künftiger Forschungsarbeiten ist die Integration der Vakuumperipherie sowie die fortschreitende Miniaturisierung des Atomchipsystems. Diese Entwicklung eröffnet neue Perspektiven für mobile Anwendungen und verbessert die Zugänglichkeit quantentechnologischer Forschung.


