7,6 Millionen Menschen arbeiten in Deutschland in der verarbeiteten Industrie. Trotz der Bedeutung dieser Branche schreitet die Digitalisierung und Vernetzung der Unternehmen nur langsam voran. Gründe für den niedrigen Digitalisierungsgrad der Unternehmen sind neben dem Fachkräftemangel auch fehlende Technologien und Strategien.
Hier setzt das Projekt Factory-X an. Ein Hauptziel des Projektes ist es, intelligente Maschinen und Anlagen zu entwickeln und diese in einem standardisierten Datenökosystem einzubinden, um zukünftig eine unternehmensübergreifende Vernetzung zu gewährleisten. Im Rahmen dieses Projekts entwickelt das Institut für Fertigungstechnik und Werkzeugmaschinen (IFW) der Leibniz Universität Hannover Software-Applikationen für intelligente Maschinen und Anlagen, um die Automatisierung in der Fertigungsplanung voranzutreiben. Schwerpunktthemen sind die automatisierte Auftragsabwicklung und dynamische Kapazitätsplanung.
Durch diese Arbeiten wird die Effizienz der Planungsprozesse gesteigert und eine Resilienz gegenüber Störungen in der Prozesskette erreicht. Dies führt unmittelbar zu einer Erhöhung der Wettbewerbsfähigkeit deutscher Unternehmen. Neben der Wettbewerbsfähigkeit spielt in Zukunft auch der Nachweis des CO2-Fußabdrucks eine große Rolle für deutsche Unternehmen. Durch die Arbeiten des IFW können Energieverbräuche und Einsparungspotentiale aufgedeckt werden. Das IFW entwickelt darüber hinaus eine energieoptimierte Fertigungsplanung.
Automatisierte Auftragsabwicklung …
Die automatisierte Auftragsabwicklung beginnt direkt nach dem Eingang eines Fertigungsauftrags und schließt mit der Erstellung eines maschinenlesbaren Codes, eines NC-Codes, ab. Sobald ein Fertigungsauftrag eingetroffen ist, werden anhand des Auftrags Arbeitsschritte und benötigtes Werkzeug sowie Maschinen abgeleitet. Im Rahmen des Projektes Factory-X erarbeitet des IFW eine Methode zur Automatisierung dieses Prozesses. Im Folgenden wird dies als CAM-Automatisierung bezeichnet.
Wissenschaftler*innen des IFW entwickeln eine Programmierschnittstelle, die es ermöglicht, eine Applikation an das Konstruktionsprogramm anzubinden. Diese Applikation nutzt Künstliche Intelligenz (KI) wie Entscheidungsbäume, um dem Bauteil passende Arbeitsgänge, Maschinen und Werkzeuge zuzuordnen. Dazu werden aus dem 3D-Modell des Auftrags Features extrahiert. Features beschreiben Produktmerkmale wie die Werkstückgeometrie und Fertigungsmerkmale, zum Beispiel Toleranzen. Durch diese Information kann eine Kostenkalkulation des Auftrags durchgeführt werden. Dies ermöglicht bereits vor dem Beginn der Fertigung eine Wirtschaftlichkeitsbetrachtung des Auftrags. Die Applikation soll perspektivisch zudem automatisiert einen NC-Code erstellen.
Bei einigen Arbeitsgängen wie dem Fertigen von Verzahnungen oder Polygonen ist der Programmieraufwand zur Erstellung des NC-Codes sehr aufwendig. Durch Technologiezyklen kann dieser Aufwand reduziert werden. Technologiezyklen enthalten bereits Teilarbeitsschritte und Anforderungen für bestimmte Arbeitsgänge wie zum Beispiel Wälzschälen von Verzahnungen. Das IFW entwickelt im Rahmen des Projektes einen KI-Assistenten (siehe Bild 2), welcher anhand der bereits beschriebenen Features einen passenden Technologiezyklus wählt. Der KI-Assistent nutzt Methoden wie einen Entscheidungsbaum. Neben der Wahl des Technologiezyklus wird eine Wirtschaftlichkeitsbetrachtung durchgeführt. Der KI-Assistent bewertet, ob eine Fertigung mit dem Technologiezyklus zu einer schnelleren und effizienteren Bearbeitung als ohne Einsatz eines Technologiezyklus führt. Eine mögliche Kostenreduzierung wird anschließend ausgegeben.
… und dynamische Kapazitätsplanung
Das Wissen aus der CAM-Automatisierung kann ebenfalls genutzt werden, um die Kapazitätsplanung zu optimieren. Besonders bedeutsam ist hier das Einplanen von Eilaufträgen, da diese Art von Aufträgen häufig als besonders lukrativ erscheint. Allerdings entstehen nach Annahme dieser Aufträge oft unerwartete Kosten durch einen erhöhten Rüstaufwand.
Das IFW entwickelt einen Algorithmus, um Eilaufträge vor der Annahme bewerten und ermitteln zu können, ob für den Eilauftrag ausreichend Kapazität vorhanden ist. Übersteigen zum Beispiel die Kosten für das Umrüsten den durch den Eilauftrag erzielten Gewinn, wird eine Ablehnung des Eilauftrags vorgeschlagen. Eine solche Information kann dann an eine Matching-Plattform zurückgespielt werden, welche die Aufträge einem passenden Fertigungsdienstleister mit freien Kapazitäten zuweist (siehe Bild 3).
Das IFW erwartet durch die KI-Assistenten zur automatisierten Auftragsabwicklung und dynamischen Kapazitätsplanung eine Effizienzsteigerung und erhöhte Leistungsfähigkeit der Fertigungsplanung. Darüber hinaus entwickelt das IFW Applikationen, um die Nachhaltigkeit in der Produktion voranzutreiben.
Energieverbrauch in der Fertigung optimieren …
Energieeffizienz ist ein wesentlicher Faktor zur Förderung einer nachhaltigen Produktion. Die Optimierung des Energieverbrauchs ist nicht nur ein Kostenfaktor, sondern auch ein zentraler Aspekt für die Nachhaltigkeit.
Ein großer Teil des Energiebedarfs in der Produktion wird durch Werkzeugmaschinen verursacht. Sie verursachen circa 4 % des globalen Bedarfs an elektrischer Energie. Daher entwickelt und erforscht das IFW einen energetischen Digitalen Zwilling (eDT-X), welcher genutzt werden soll, um den Energiebedarf von Werkzeugmaschinen transparent darzustellen und modellieren zu können. Mit dessen Hilfe können Energieeinsparungspotenziale identifiziert und die zu erwartenden Energiebedarfe in der Fertigung prognostiziert werden.
Technisch umgesetzt wird der eDT-X durch eine Verwaltungsschale (Asset Administration Shell, AAS) beziehungsweise einem Verwaltungsschalenserver, welcher auf einem Edge Device an der Maschine gehostet wird (siehe Bild 4). Die AAS ist ein digitales Abbild eines physischen Assets gemäß dem Konzept der Industrie 4.0 und umfasst sämtliche relevanten Informationen und Funktionen des jeweiligen Assets. Sie fungiert als standardisierte Schnittstelle zur Kommunikation und Interaktion mit anderen Systemen, wodurch eine effiziente und interoperable Vernetzung von Maschinen und Anlagen ermöglicht wird.
… mithilfe eines Digitalen Zwillings
Das Grundgerüst des Digitalen Zwillings wird zukünftig von dem Maschinenhersteller erzeugt und bereitgestellt. Dies erfolgt möglichst automatisiert aus CAE-Daten (Computer-Aided Engineering) der verbauten Komponenten. Das Gerüst umfasst einzelne Verwaltungsschalen der verbauten Maschinenkomponenten und eine Verwaltungsschale der Werkzeugmaschine. Die Verwaltungsschalen beinhalten verschiedene Teilmodelle, in welchen unterschiedliche Daten beziehungsweise Informationen bereitgestellt werden.
Unterschieden wird hier primär zwischen statischen und dynamischen Informationen. Zu den statischen Informationen gehören zum Beispiel Metadaten, welche die Maschine oder die Komponenten beschreiben. Dazu zählen auch bereits vorhandene Modelle, welche die energetischen Zustände darstellen können. Diese Daten werden von den Maschinen- und Komponentenherstellern gestellt. Die Teilmodelle mit dynamischen Daten, welche beispielsweise Zeitreihen über die aktuelle Leistungsaufnahme beinhalten, werden als digitale Komponenten ebenfalls vom Maschinenhersteller in der Verwaltungsschale bereitgestellt. Diese werden allerdings erst während der Nutzungsphase der Maschine beim Fabrikbetreiber mit Daten gefüllt.
In dieser Nutzungsphase wird der eDT-X zunächst zwei Hauptfunktionen erfüllen. Diese umfassen ein komponentenaufgelöstes Energiemonitoring und eine Energiebedarfsprognose von den zu fertigenden Werkstücken auf der Maschine. Um effektiv Energie einsparen zu können, muss zunächst der aktuelle Energieverbrauch und dessen Verteilung auf die einzelnen Komponenten der Werkzeugmaschine ermittelt werden. Aktuelle Lösungen aus der Industrie fokussieren sich hauptsächlich auf den Gesamtenergieverbrauch, sodass Energieeinsparungspotenziale von einzelnen Komponenten zum Teil nicht identifiziert werden können. Daher wird ein holistisches Energiemonitoring auf Komponentenebene für Werkzeugmaschinen entwickelt.
Fertigung auf zu erwartende Strompreise abstimmen
Darüber hinaus werden Prognosemodelle erstellt, welche den zu erwartenden Energieverbrauch für individuelle Werkstücke bestimmen. So können bereits in der Planung von Fertigungsaufträgen Aussagen über den Energieverbrauch getroffen werden und die Planung anhand der Prognosen energieoptimiert erfolgen.
So sollen zukünftig Fertigungsreihenfolgen im Einklang mit den zu erwartenden Strompreisen gebildet oder Lastspitzen vermieden werden. Die Entwicklung dieser Bedarfsprognosen wird iterativ erfolgen und mit zunehmender Entwicklungszeit an Detailgrad gewinnen. Zunächst erfolgt die Prognose auf einer Hochrechnung von durchschnittlichen Leistungswerten für verschiedene Betriebszustände. Die weiterentwickelte Methode analysiert den vorhandenen NC-Code und ermittelt die zeitlichen Anteile weiterer Maschinenzustände. Dabei werden neben den Hauptprozessen, wie zum Beispiel Standby oder Bearbeitung, auch Nebenprozesse, wie Werkzeugwechsel, betrachtet. Auch hier erfolgt eine Hochrechnung auf Basis von Referenzleistungsmessungen für die jeweiligen Maschinenzustände. In der letzten Entwicklungsstufe erfolgt die Energiebedarfsprognose durch datenbasierte Modelle unter Zuhilfenahme einer Prozesssimulation, um energetisch relevante Eingriffsgrößen zu bestimmen.
Die nächsten Schritte in der Entwicklung des energetischen Digitalen Zwillings fokussieren sich auf eine erste prototypische Implementierung eines eDT-X an einer Dreh-Fräsmaschine der Firma DMG MORI im Versuchsfeld des IFW. Hierzu werden zunächst die Verwaltungsschalen manuell erstellt und auf einem AASX-Server, welcher auf einem Edge Device gehostet wird, über die Middleware BaSyx bereitgestellt. Zusätzlich laufen auf dem Edge Device OPC-UA-Clients, welche Prozess- und Sensordaten der Werkzeugmaschine abgreifen und diese Daten in der Verwaltungsschale ablegen.
Das Ziel: Eine nachhaltigere Produktion
Zusammengefasst weist der energetische Digitale Zwilling ein hohes Potenzial zur Förderung einer nachhaltigeren Produktion auf. So kann neben einer Steigerung der Transparenz über Energieverbräuche auch die Fokussierung der Energieeffizienz als Zielgröße in der Fertigungsplanung verstärkt werden.