Die Bedeutung von hybriden Strukturbauteilen im Automobilbau nimmt stetig zu. So werden faserverstärkte Kunststoffe (FVK) nicht mehr nur im Motorsport, sondern auch in Straßenfahrzeugen eingesetzt. Grund dafür ist das Streben nach immer leichteren Bauteilen bei gleichzeitig hoher Belastbarkeit. So werden auch Stahlplatinen mit FVK ummantelt und es entstehen hybride Strukturbauteile. Ziel ist es, die hervorragenden mechanischen Eigenschaften des Stahls zu erhalten und durch den Einsatz von FVK die Zugfestigkeit bei gleichzeitiger Gewichtsreduzierung weiter zu erhöhen. Gerade bei crashrelevanten Bauteilen ist eine hohe Belastbarkeit für die Sicherheit der Fahrzeuginsassen entscheidend.
Die serientaugliche Herstellbarkeit solcher Bauteile ist jedoch noch verbesserungswürdig. Das Institut für Umformtechnik und Umformmaschinen (IFUM) der Leibniz Universität Hannover untersucht im Forschungsprojekt „Leichtbau Hybridumformung“, inwieweit die Anzahl und Dauer der Prozessschritte reduziert werden kann. Ziel ist es, die Taktzeit bei der Herstellung hybrider Bauteile zu verkürzen, ohne die Bauteileigenschaften negativ zu beeinflussen.
Die aus technologischer Sicht größte Schwierigkeit bei der Herstellung hybrider Bauteile liegt derzeit in der Fügbarkeit ohne den Einsatz von Klebstoffen oder Haftvermittlern und wird ebenfalls im Projekt adressiert. So werden verzinkte Stahlplatinen verschiedenen Oberflächenvorbehandlungen unterzogen, um eine gute flächige Verbindung mit dem FVK zu ermöglichen, ohne dabei zusätzliche Zeit in der Prozesskette zu beanspruchen.
Elektrofahrzeuge: Gewicht reduzieren und gleichzeitig Crashsicherheit erhöhen
Ziel des Forschungsvorhabens ist es, Erkenntnisse zu gewinnen, wie das Verhältnis von mechanischen Eigenschaften zu Bauteilgewicht gesteigert werden kann. Dies ist insbesondere im Hinblick auf die Elektromobilität von hoher Relevanz. Durch den Wegfall des Motorblocks sind neue Crashstrukturen im Pkw-Frontbereich notwendig, um die Sicherheit der Insassen zu gewährleisten. Gleichzeitig gewinnt der Leichtbau für Elektrofahrzeuge, die ein vergleichsweise hohes Gewicht aufweisen, zunehmend an Bedeutung.
Alle Erkenntnisse aus diesem Forschungsprojekt werden öffentlich publiziert. Die Erkenntnisse über die serientaugliche Herstellbarkeit von Hybridbauteilen dienen sowohl den Automobilherstellern als auch deren Zulieferern als Hilfestellung, um die beiden genannten Herausforderungen ohne zusätzlichen Forschungsaufwand zu bewältigen.
Daraus ergibt sich das langfristige Ziel, bisher monolithische Strukturbauteile, wie zum Beispiel den Stoßfänger des VW ID3, durch Hybridbauteile zu ersetzen und durch das geringere Gewicht die Reichweite des Fahrzeugs zu erhöhen.
Verbinden ohne Kleben: Oberflächenvorbehandlung soll Fügetauglichkeit steigern
Im Rahmen des Forschungsprojektes wird auf den Einsatz von Haftvermittlern oder Klebstoffen zur Herstellung von Hybridbauteilen verzichtet. Um dennoch eine Verbindung des Blechs mit dem FVK zu realisieren, muss auf alternative Methoden zurückgegriffen werden. Ein vielversprechender Ansatz ist das Aufrauen der Stahloberfläche, sodass die Kunststoffschmelze in die Stahloberfläche einfließen kann und beim Abkühlen erstarrt. Durch Hinterschneidungen entstehen mikroskopisch kleine formschlüssige Verbindungen, die sich positiv auf die Fügefestigkeit auswirken. Allerdings sind Vorbehandlungsmethoden zum Aufrauen der Oberflächen in der Regel sehr zeitaufwendig.
Um die Taktzeit bei der Herstellung eines Hybridbauteils zu reduzieren, ist es notwendig, auf Technologien zurückzugreifen, die zwar hohe Rauheiten erzielen, gleichzeitig aber keinen zeitlichen Mehraufwand in der umformtechnischen Fügefolge verursachen.
Methoden wie Sandstrahlen oder Lasertexturieren kommen aufgrund der hohen Prozessdauer für die Oberflächenvorbehandlung nicht in Frage. Als interessante Möglichkeit wurde das Nachdressieren von verzinkten Stahlblechen näher untersucht. Dazu wurden hybride Couponproben im Labormaßstab aus nachdressiertem Stahl verschiedener Feinheitsgrade und Organoblech hergestellt und anschließend auf ihre Fügetauglichkeit untersucht. Hierzu wurden Zugscherversuche durchgeführt. Es zeigte sich, dass die Zugscherfestigkeiten, die mit der Fügetauglichkeit korrelieren, bei Verwendung von nachbehandelten Blechen geringer sind als bei unbehandelten Proben – das Nachdressieren führte somit nicht zum gewünschten Erfolg (siehe Bild 2).
Vielversprechende Vorbehandlung: Widerstandserwärmung erhöht Fügefestigkeit
Das IFUM untersuchte daraufhin eine neue Möglichkeit der Oberflächenvorbehandlung mittels Widerstandserwärmung, auch konduktive Erwärmung genannt. Ziel ist es, durch Erwärmung bis kurz vor den Schmelzpunkt (419,5 °C für Zink) eine Oberflächenspannung in der Beschichtung zu induzieren. Bei der Erwärmung wird ein Stahlblech zwischen zwei Kupferelektroden geklemmt, wie in Bild 1 dargestellt, und anschließend einem elektrischen Strom ausgesetzt.
Auf diese Weise können Bleche innerhalb einer Sekunde auf bis zu 1000 °C erwärmt werden. Für die Oberflächenvorbehandlung von verzinkten Stahlblechen sind derart hohe Temperaturen jedoch kontraproduktiv, da die Zinkschicht verbrennen würde. Voruntersuchungen haben gezeigt, dass die Zieltemperaturen 385 °C und 415 °C hinsichtlich der Zugscherfestigkeit am zielführendsten sind und die Erwärmungsdauern 15 beziehungsweise 60 Sekunden betragen sollten. Die Erwärmungsparameter wurden iterativ variiert, die Rauheitsparameter gemessen und anschließend Zugscherproben hergestellt. Die Zugscherfestigkeiten von Probekörpern aus konduktiv erwärmtem Stahlblech und Organoblech sind in Bild 2 dargestellt.
Die resultierenden Zugscherfestigkeiten betragen bis zu 10 MPa für Bleche, die einer 60 Sekunden dauernden Wärmebehandlung bei 415 °C unterzogen wurden. Damit konnte die Zugscherfestigkeit im Vergleich zu nachdressierten Blechen um etwa den Faktor 5 gesteigert werden. Allerdings ist die Oberfläche der Bleche nach der konduktiven Erwärmung inhomogen. Es ist ein Rauheitsgradient zu beobachten, der zur Blechmitte hin zunimmt und somit eine potentielle Fügezone bildet. Die im Diagramm angegebenen Werte sind Mittelwerte über die gesamte Oberfläche des erwärmten Bleches. Da das Blech nur in der Mitte durch den FVK verstärkt werden soll, ist die Fügefestigkeit je nach Größe des Organoblechzuschnitts höher. Genaue Werte werden an prozessnah gefertigten Hybridflachproben ermittelt.
Praxistest: Forschende konstruieren Demonstratorbauteil und Umformwerkzeug
Im Rahmen des Forschungsvorhabens galt es zunächst, ein Demonstratorbauteil zu entwerfen, das sich an crashrelevanten Strukturbauteilen im Automobil orientiert. Wichtig ist auch, dass an dem gefertigten Demonstratorbauteil genormte Nachuntersuchungen durchgeführt werden können, um die Erkenntnisse aus den Flachprobenversuchen zu validieren. Daher wurde das in Bild 3 dargestellte Demonstratorbauteil als Prototyp abgeleitet. Es handelt sich um ein Hutprofil, das in seiner Funktion dem Stoßfänger eines Fahrzeugs ähnelt.
Für die Herstellung des Demonstratorbauteils mittels des kombinierten Umform-Füge-Verfahrens ist es notwendig, ein geeignetes Umformwerkzeug zu konzipieren, zu konstruieren und herzustellen. Dieses ist als Prototyp in Bild 4 dargestellt.
Derzeit untersucht das IFUM die wesentlichen mechanischen Eigenschaften des Verbundes an prozessnah gefertigten Flachproben, um eine möglichst genaue Materialcharakterisierung zu erhalten. Parallel dazu werden Streifenziehversuche durchgeführt, um die Reibverhältnisse zwischen Blech und Werkzeug zu verstehen. Anschließend werden die Konstruktionsdaten, die Materialeigenschaften sowie das Reibverhalten in ein Simulationstool integriert und so die Umformung simuliert. Nach jeder Simulation gibt das Tool Informationen über den Umformprozess aus, ohne dass das Werkzeug gebaut wurde. Anschließend können die Pressenparameter und die Geometrie der Aktivelemente (Matrize, Niederhalter & Stempel) iterativ angepasst und optimiert werden, bis das gewünschte Bauteil simulativ fehlerfrei hergestellt und das Werkzeug gebaut werden kann. Dies führt zu erheblichen Kosten-, Material- und Zeiteinsparungen sowie zur Vermeidung von Nacharbeiten an einem bereits gehärteten Werkzeug.