Die zunehmende Automatisierung und Autonomie in der Produktion ist ein Schlüssel, um globalen wirtschaftlichen und sozialen Herausforderungen zu begegnen. Während die Hardware, wie Industrieroboter, bereits weit entwickelt ist, gibt es noch Potenzial, die Flexibilität und Benutzerfreundlichkeit solcher Systeme zu erhöhen. Am Institut für Montagetechnik und Industrierobotik (match) der Leibniz Universität Hannover arbeiten Wissenschaftler*innen daran, diese Lücke zu schließen – durch innovative Ansätze wie die Mensch-Roboter-Kollaboration und intuitive Programmierung.
Mensch-Roboter-Kollaboration: Flexibilität für KMU
Industrieroboter sind in vielen Bereichen bereits etabliert, doch ihre starre Programmierung und die hohen Sicherheitsanforderungen machen sie für kleine und mittlere Unternehmen (KMU) oft unattraktiv. Hier setzt das match auf kollaborationsfähige Roboter (Cobots), die durch geringere Anschaffungskosten und einfachere Sicherheitsvorkehrungen auch für KMU interessant sind.
Ein zentraler Aspekt ist dabei die benutzerfreundliche Programmierung, für die KMU keine spezialisierten Programmierer*innen benötigen. Beim Programmieren durch Vormachen demonstrieren Prozessexpert*innen die gewünschte Aufgabe, die anschließend in ein Roboterprogramm überführt wird. Dieser „Human-in-the-Loop“-Ansatz nutzt die kognitiven Fähigkeiten des Menschen, um die Korrektheit des Prozesses zu überwachen und bei Bedarf Anpassungen vorzunehmen.
AR + 6D-Posenbestimmung = Intuitive und flexible Automatisierung
Um die Programmierung noch intuitiver zu gestalten, erforscht das match den Einsatz von Augmented Reality (AR). AR-Systeme überlagern das reale Sichtfeld mit virtuellen Inhalten und ermöglichen so eine besonders einfache und effiziente Interaktion mit dem Roboter. Doch damit diese Technologien ihr volles Potenzial entfalten können, ist eine präzise 6D-Posenbestimmung von Objekten erforderlich.
Die 6D-Posenbestimmung beschreibt die Ermittlung der Position und Orientierung eines Objekts im Raum. Diese Information ist entscheidend, damit Roboter Gegenstände präzise greifen und ablegen können. Traditionelle Methoden waren oft auf spezifische Objekte beschränkt, doch moderne Ansätze basieren auf maschinellem Lernen und können auch neuartige Objekte erkennen, sofern ein 3D-Modell des Objekts vorliegt.
Ein Durchbruch in diesem Bereich sind Foundation Modelle, die auf eine große Vielfalt von Objekten trainiert werden und dadurch generalisieren können. Um die notwendigen Trainingsdaten zu generieren, setzen diese auf generative künstliche Intelligenz (KI), die synthetische Objekte erstellt und anpasst, um die Generalisierbarkeit zu verbessern.
Herausforderungen und Lösungen für den industriellen Einsatz
Trotz der Fortschritte gibt es noch Herausforderungen, insbesondere bei der Bewertung der Methoden für den industriellen Einsatz. Aktuelle Benchmarks für die 6D Posenbestimmung basieren oft auf Objekten, die nicht den Anforderungen der Industrie entsprechen. Besonders metallische, nahezu symmetrische oder skalenvariante Bauteile sind in den Testdatensätzen unterrepräsentiert.
Um diese Lücke zu schließen, haben Wissenschaftler*innen am match einen robotergestützten Aufbau zur automatisierten Aufzeichnung und Annotation von Testdatensätzen entwickelt. Dieser verwendet gedruckte Vorlagen für Positionen, auf denen die Objekte platziert werden. Durch die bekannte Transformation zwischen Vorlage, Roboter und Kamera können die Daten präzise mit der „Ground Truth“ annotiert werden. Dieser Ansatz ermöglicht es, zukünftig domänenspezifische Testdatensätze für verschiedene industrielle Anwendungen effizient zu erstellen und die Eignung der 6D-Posenbestimmung quantitativ zu bewerten.
Extrinsische Kalibrierung: Präzision für AR-Systeme
Ein weiterer Forschungsschwerpunkt ist die extrinsische Kalibrierung von AR-Headsets. Wenn AR-Systeme zur Programmierung von Robotern eingesetzt werden, müssen die im AR-System ermittelten Positionen präzise in das Koordinatensystem des Roboters übertragen werden. Hier untersucht das match die Genauigkeit solcher Verfahren, insbesondere für moderne Hardware wie die Apple Vision Pro, und entwickelt Lösungen für komplette Anwendungsfälle.
Zukunftsvision: Automatisierung für alle
Das langfristige Ziel des match ist es, die Automatisierung für Unternehmen aller Größen zugänglich zu machen. Durch intuitive Programmierung, präzise 6D-Posenbestimmung und den Einsatz von AR-Systemen wollen die Wissenschaftler*innen die Flexibilität und Effizienz von Produktionsprozessen steigern. In zehn Jahren sollen Roboter nicht mehr nur in großen Industrieunternehmen, sondern auch in KMU selbstverständlich sein – und das ohne den Bedarf an spezialisiertem Fachpersonal.
Das match arbeitet daran, diese Vision Wirklichkeit werden zu lassen. Die Kombination von Mensch-Roboter-Kollaboration, maschinellem Lernen und Augmented Reality schafft die Grundlagen für eine flexiblere, effizientere und zugänglichere Automatisierung.