Knieendoprothesen zählen zu den häufigsten orthopädischen Eingriffen. Allein in Deutschland wurden im Jahr 2023 mehr als 155.000 Erstimplantationen am Kniegelenk durchgeführt. Eine der häufigsten Ursachen für spätere Revisionseingriffe ist der Verschleiß des Polyethylen-Inlays. Da dieses Material röntgendurchlässig ist, lässt sich der Abrieb im Standard-Röntgenbild kaum erkennen. Die aktuelle klinische Praxis nutzt daher lediglich indirekte Methoden zur Verschleißbeurteilung.
Präzise Markierungen am Knieimplantat sollen die Diagnostik erleichtern
Eine technische Lösung, um die Verschleißdiagnostik zu verbessern, entwickelt das Institut für Fertigungstechnik und Werkzeugmaschinen (IFW) der Leibniz Universität Hannover gemeinsam mit dem Labor für Biomechanik und Biomaterialien (LBB) der Medizinischen Hochschule Hannover im Rahmen des Sonderforschungsbereichs SFB/TRR 298 „Sicherheitsintegrierte und infektionsreaktive Implantate (SIIRI)“ im Teilprojekt A01 „Implantatregeneration und Lebenszyklusmanagement“.
Ziel ist es, röntgensichtbare Marker direkt in die Oberfläche von Polyethylen-Inlays zu integrieren. Diese Marker sollen eine ortsaufgelöste Messung des Materialverlustes auf Röntgenaufnahmen ermöglichen und damit eine frühzeitige Verschleißerkennung unter Alltagsbedingungen erlauben.
Um die Marker in die Inlay-Oberfläche einzubringen, setzt das IFW auf die Mikrostrukturierung durch Fünf-Achs-Mikrofräsen. Dabei werden Nuten und Bohrungen mit Breiten bis zu 0,8 beziehungsweise 1,6 mm und einer Tiefe von 1 mm in die gekrümmte Freiformfläche des Inlays gefräst beziehungsweise gebohrt. Diese Mikrostrukturen werden anschließend mit einem röntgensichtbaren Polymerkomposit aus hochdichtem Polyethylen (HDPE) und Bariumsulfat gefüllt. Das Komposit wurde eigens dafür entwickelt und zeigt ähnliche tribologische Eigenschaften wie das umgebende ultrahochmolekulare Polyethylen (UHMWPE).
In Versuchsreihen hat das IFW mehr als 1.250 Parameterkombinationen untersucht, um geeignete Prozessparameter für die Mikrostrukturierung zu identifizieren. Besonders kritisch ist dabei die Gratbildung am Rand der Mikrostrukturen, da diese die exakte Befüllung der Markerbereiche behindern. Der geringste Grat entstand mit einem Werkzeugdurchmesser von 0,6 mm, einer Schnitttiefe von 0,1 mm, einem Zahnvorschub von 0,06 mm und einer Schnittgeschwindigkeit von 10 bis 15 m/min.
IFW entwickelt Markerdesigns und systematische Bewertung der Sichtbarkeit
Für eine Analyse untersuchte das IFW insgesamt elf unterschiedliche Markerdesigns. Diese unterschieden sich in Geometrie, Orientierung, Anordnung und Positionierung auf der Inlay-Oberfläche. Neben parallel und quer zur Röntgenrichtung stehenden Nuten kamen auch Strukturen mit einem Winkel zur Implantatoberfläche sowie Kombinationen aus Nuten und Bohrungen zum Einsatz. Zudem wurde ein anteriorer Versatz einzelner Muster integriert, um die Abbildung von lokalem Verschleiß in besonders belasteten Zonen und eine Tiefendifferenzierung in zweidimensionalen Aufnahmen zu testen.
Die fertigen Inlays wurden mit dem röntgensichtbaren Kompositmaterial befüllt und in einem realitätsnahen Phantom-Knie geröntgt. Parallele Nuten, die in Richtung des Röntgenstrahls verlaufen, erzielten die besten Ergebnisse hinsichtlich Sichtbarkeit und Messbarkeit. Horizontal ausgerichtete Nuten und Bohrungen mit einem Durchmesser von 1,6 mm wiesen dagegen eine deutlich geringere Sichtbarkeit auf.
Zur objektiven Beurteilung der Markerqualität entwickelte das IFW ein Bewertungssystem mit vier Hauptkriterien: Sichtbarkeit der Kanten, Messbarkeit der Geometrie, Homogenität der Füllung sowie Sichtbarkeit bei Überlagerung mit metallischen Komponenten. Die besten Markerdesigns erreichten mehr als 22 von 27 möglichen Bewertungspunkten.
Das am höchsten bewertete Design bestand aus längs zur Röntgenstrahlrichtung ausgerichteten Nuten mit einem Abstand von fünf Millimetern. Diese Anordnung ermöglichte eine besonders klare Abgrenzung der Markerkonturen und eine präzise geometrische Vermessung der Kavitäten. Die Kombination aus guter Sichtbarkeit und hoher Maßhaltigkeit macht dieses Design besonders vielversprechend für weitere präklinische Experimente.
Perspektive: personalisierte Teilrevision statt kompletter Austausch des Implantats
Langfristig soll mit Hilfe der Markerstruktur eine ortsaufgelöste Verschleißanalyse auf Standardröntgenaufnahmen ermöglicht werden. Im Falle eines Verschleißes könnte so ein patientenspezifisches Ersatzinlay gefertigt werden, das gezielt an die Verschleißgeometrie angepasst ist. Dies würde nicht nur die Erhaltung des umliegenden Gewebes fördern, sondern auch Kosten und Belastung für die Patient*innen verringern.
In weiteren Schritten will das IFW die Befüllung der Marker automatisieren, simulationsbasierte Prozessanpassungen in der Fünf-Achs-Mikro-Bearbeitung integrieren und die Markerauswertung durch KI-gestützte Bildanalyse verbessern. Der eingeschlagene Weg zeigt das Potenzial individualisierter Implantat-Versorgung durch präzise Fertigungstechnologien im Kontext der personalisierten Medizin.