Eine für Serienlötprozesse wichtige Schlüsseltechnologie ist das automatisierte Vorbeloten. Dabei werden pulverförmige Nickelbasislote auf Stahlbauteile aufgebracht. Gegenwärtig erfolgt dies in Form von Lotpasten oder dünnflüssigen Pulversuspensionen. Je nach Form, Menge und Fläche der benötigten Vorbelotung werden die Pasten entweder lokal mittels Dispenser oder durch Siebdruck aufgebracht, Lotpulversuspensionen werden flächig aufgesprüht.
Lotpulverpasten und -suspensionen haben aber wesentliche Nachteile: Für die Herstellung werden organische Lösungsmittel verwendet. Das aufgebrachte Lot muss folglich vor dem Lötprozess getrocknet werden. Wenn die Lösungsmittel verdampft sind, ist die Haftung der Vorbelotung gering, sodass es zu Lotverlusten beim Handling der Komponenten kommen kann. Daraus können fehlerhafte Lötverbindungen resultieren.
Thermoplaste statt Lösungsmittel im Lotpulver
Wie sich Lotpulver ganz ohne Lösungsmittel verarbeiten und aufbringen lassen, haben Wissenschaftler am Institut für Werkstoffkunde (IW) in den vergangenen Jahren erforscht. Die Wissenschaftler haben diverse Verfahren entwickelt, bei denen thermoplastische Kunststoffe als Binder zum Einsatz kommen. Bei Schmelztemperatur des zugesetzten Kunstoffs lassen sich die Lotpulverpartikel haftfest miteinander und auf Metalloberflächen verkleben.
Wichtig ist jedoch, dass sich die verwendeten thermoplastischen Binder rückstandsfrei zersetzen. Nur wenn keine Binderrückstände bei Erreichen der Löttemperatur verbleiben, sind fehlerfreie Lötverbindungen gewährleistet. Die Untersuchungen am IW haben gezeigt, dass die sogenannten Polyolefine diese Voraussetzung erfüllen. Der bekannteste Vertreter dieser Gruppe ist das Polyethylen (PE). Ebenso geeignet ist der aus nachwachsendem Rohstoff hergestellte Thermoplast Polylactid (PLA).
IW-Wissenschaftlern gelingt Umhüllung von Lotpartikeln mit PLA
PLA hat eine weitere besondere Eigenschaft: Hiermit geklebte Pulverpartikel haben eine besonders hohe Haftfestigkeit. Wenn zudem das PLA bereits als dünne Beschichtung auf jedem einzelnen Pulverpartikel vorläge, würden bereits sehr geringe Mengen an Thermoplast ausreichen, um das Lotpulver zu binden. Der „Heißkleber“ befindet sich dann nämlich bereits dort, wo er wirken soll: zwischen den Kontaktpunkten der Partikel.
Den Wissenschaftlern am IW ist es gelungen, ein solches Beschichtungsverfahren zu entwickeln. Der Herstellungsprozess erfolgt in zwei Prozessstufen. Zunächst werden Lotpulver und PLA-Granulat intensiv miteinander vermischt. Die Vermischung erfolgt oberhalb der Schmelztemperatur des PLA bei 200 °C in einem thermomechanischen Verfahren. Danach wird der erhaltene „Lotpulverkuchen“ durch einen kalten Walzprozess zerkleinert und schonend gemahlen. So entstehen einzelne Lotpartikel mit einer dünnen PLA-Umhüllung.
Gute Haftung und unkritisches Zersetzungsverhalten beim Löten
Für eine erfolgreiche Lötanwendung der mit PLA umhüllten Lotpulver hat das IW eine Reihe von wichtigen Eigenschaften getestet. So wurde das modifizierte Lotpulver auf Stahloberflächen aufgebracht und über eine erneute, kurzzeitige Wärmebehandlung bei 200°C mit der Oberfläche verklebt.
Die Haftfestigkeit der geklebten Pulverschicht haben die Wissenschaftler mit einem Scratch-Test bestimmt: Hierbei fährt ein 4 mm breiter Meißel über die beschichtete Oberfläche und schabt die Beschichtung ab. Die hierfür notwendige Kraft ist dann ein Maß für dessen Haftfestigkeit. Die Ergebnisse dieses Tests waren erstaunlich: Schon mit einem PLA-Anteil von nur einem Masseprozent waren etwa 100 Newton notwendig, um die Schicht mit dem Meißel wieder vom Blech abzuschälen.
Weitere Untersuchungen haben gezeigt, dass sich das PLA auf den Partikeln bei etwa 350 °C rückstandfrei zersetzt. Dabei entstehen gasförmige Produkte, die in einem Lötprozess weder für die Lötanlagen noch für das Personal kritisch sind.
PLA-Umhüllung macht elektrostatisches Pulverbeschichten möglich
Die PLA-Umhüllung gibt dem Pulver zudem noch eine weitere, wichtige Eigenschaft: Sie stellt eine elektrische Isolierung der einzelnen Pulverpartikel dar. Damit wird es möglich, diese Pulver mittels eines elektrostatischen Beschichtungsverfahrens auf Metalloberflächen aufzubringen. Die IW-Wissenschaftler haben hierfür die optimalen Prozessparameter ermittelt. Ihnen gelang mit diesem Verfahren nicht nur das Beschichten planer Oberflächen, sondern es ließen sich auch komplexe Flächen gleichmäßig und reproduzierbar beschichten.
Ein flächiges Auftragen des Lotpulvers wird insbesondere für das Löten von Plattenwärmetauschern benötigt. Diese sind aus einzelnen Blechschalen aufgebaut, in die Strömungskanäle geprägt sind. Für derartige Anwendungen ist das elektrostatische Beschichten mit PLA-umhüllten Lotpulvern ideal geeignet.
Lotformteile aus PLA-umhüllten Nickellotpulvern
Komponenten, die mit PLA-umhüllten Lotpulvern beschichtet wurden, lassen sich problemlos verarbeiten. Die IW-Wissenschaftler haben Edelstahlbauteile mit umhülltem Nickellotpulver beschichtet. Gelötet haben sie diese sowohl in einem Durchlaufofen als auch mit einem Hochvakuumlötprozess. Beides lieferte einwandfreie Lötergebnisse mit fehlerfreien Lötnähten.
PLA-umhüllte Lotpulver lassen sich überdies auch zur Herstellung von Lotringen verwenden. Dafür kann das Pulver in entsprechende Formen aus Silikon gefüllt und durch Wärmebehandlung zu einem Verbund verklebt werden. Nach dem Erkalten lässt sich das stabile Formteil leicht aus der Form entnehmen. Die Lotringe sind besonders geeignet für das Induktionslöten. Konventionelle Lotpasten zerstäuben bei diesem sehr schnellen Aufheizprozess, weil die Lösungsmittel schlagartig verdampfen. PLA-gebundene Partikel hingegen entbindern problemlos beim Induktionslöten und das freigesetzte Lotpulver verbleibt am Ort der Deponierung.