Ein Vollblutforscher und Meister seines Fachs, der die Nähe zur Praxis stets gesucht hat: Das war Professor Hans-Peter Wiendahl. Fast zweieinhalb Jahrzehnte lang hat er das Institut für Fabrikanlagen und Logistik (IFA) der Leibniz Universität Hannover geleitet und zudem das Institut für Integrierte Produktion Hannover (IPH) gGmbH gegründet.
Professor Wiendahl habe "die Logistik zu einer Wissenschaft entwickelt und die Fabrikplanung geprägt", sagt sein Nachfolger Professor Peter Nyhuis. Wiendahls Vision sei es gewesen, das IFA zu einem der international führenden Institute in der Erforschung logistischer und organisatorischer Zusammenhänge der Stückgüterproduktion zu führen – mit Erfolg. "Bis zu seinem Ausscheiden aus dem Institut und auch darüber hinaus hat Professor Wiendahl dem IFA große nationale und internationale Anerkennung verliehen", sagt Professor Nyhuis. "Dabei war er nicht nur Kollege, sondern stets Freund und Förderer des Instituts."
Praxisbezug
Professor Wiendahl war stets darauf bedacht, Grundlagenforschung nicht zum Selbstzweck, sondern immer für den Einsatz in der Praxis zu betreiben. "Professor Wiendahl war groß darin, die Probleme der Praxis zu verstehen", sagt Professor Nyhuis. Mit den Ergebnissen der Grundlagenforschung wollte er Unternehmen konkret helfen und ihnen ein Grundverständnis von logistischen Prozessen vermitteln.
Mit seiner Vision der anwendungsorientierten Forschung ermöglichte Wiendahl das IPH, das er 1989 gemeinsam mit Professor Hans Kurt Tönshoff und Professor Eckart Doege gründete – damals noch unter dem Namen CIM-Fabrik Hannover. Während Professor Tönshoff und Professor Doege sich auf Produktionsprozesse und den Werkzeugbau konzentrierten, hatte Wiendahl stets das Unternehmen als Ganzes im Blick. Mit diesem integrativen Ansatz habe er "die entscheidende Grundlage" für das heutige IPH gelegt, erinnert sich Tönshoff.
Wiendahls Liebe zur Praxis hatte sicher auch mit seinem persönlichen Werdegang zu tun, der nicht rein akademisch war. Wiendahl, Jahrgang 1938, absolvierte zunächst eine Lehre als Facharbeiter und studierte anschließend Maschinenbau an der RWTH Aachen. Dank eines Stipendiums verbrachte er zwei Semester am renommierten Massachusetts Institute of Technology (MIT) in den USA. Nach seiner Promotion und Habilitation arbeitete er sieben Jahre lang bei der Schweizer Firma Sulzer Escher-Wyss, bevor er 1979 einen hauptberuflichen Lehrstuhl an der Leibniz Universität Hannover übernahm und Geschäftsführer des IFA wurde. Hier war er bis zu seiner Pensionierung im Jahr 2003 tätig, weitere fünf Jahre wirkte er am IPH.
Engagement
Wiendahl war gern mittendrin im Geschehen – ob bei Begehungen von Sonderforschungsbereichen, Projektabschlüssen oder Workshops in Unternehmen. Bei Industrieprojekten präsentierte er die Ergebnisse gern höchstpersönlich. Wenn er sprach, und er sprach grundsätzlich leise, dann hörte man ihm zu.
Trotz aller Autorität, die Wiendahl ausstrahlte, blieb er ein Menschenfreund. Bei Ehemaligentreffen und Institutsfeiern war er sehr aktiv, und seine Mitarbeiter schätzten Wiendahl nicht nur als herausragenden Wissenschaftler, sondern auch als Führungsperson. Nyhuis erinnert sich an die "positive Institutskultur", die Wiendahl schon früh etablieren konnte. In der Überzeugung, dass seine Mitarbeiter eine hohe Eigenmotivation mitbringen, räumte er ihnen viele Freiräume zur fachlichen und persönlichen Entwicklung ein.
Zudem hatte Wiendahl einen "hervorragenden, geradezu legendären Ruf" als Hochschullehrer, erinnert sich Nyhuis. Seine Vorlesungen und Vorträge waren stets gut strukturiert, wissenschaftlich anspruchsvoll, dabei gleichzeitig praxisnah und zielgruppengerecht. Auch um die wissenschaftlichen Mitarbeiter am IFA und die Projektingenieure am IPH kümmerte er sich mit großem Engagement. Es kam vor, dass er einem neuen Kollegen persönlich erklärte, wie man einen Forschungsantrag schreibt. Dabei war er durchaus kritisch, blieb aber immer konstruktiv und hilfsbereit.
Kooperation
Was Wiendahl auszeichnete, war der Wille zur Zusammenarbeit, auch über Fachgrenzen hinweg. "Wenn jemand eine gute Idee hatte, konnte er ihm den Erfolg auch von Herzen gönnen", sagt Nyhuis. "Mir hat er mehr als einmal gesagt, dass er die Kollegen nicht verstehen könne, die eher die Zahnbürste eines Kollegen als deren wissenschaftlichen Erkenntnisse anwenden würden."
Für ihn zählte nicht Konkurrenz, sondern Kooperation – sowohl in seinen eigenen Instituten als auch in der Zusammenarbeit mit nationalen und internationalen Kollegen. Wiendahl engagierte sich in verschiedenen wissenschaftlichen Vereinigungen, unter anderem in der Wissenschaftlichen Gesellschaft für Produktionstechnik (WGP) und dem internationalen Pendant, dem College International pour la Recherche en Productique (CIRP). Von seinem hervorragenden Ruf als Wissenschaftler zeugen auch zahlreiche Auszeichnungen, darunter drei Ehrendoktorate sowie die Goldmedaille der Society of Manufacturing Engineers.
Was bleibt
15 Bücher im Bereich Fabrikplanung und Produktionstechnik hat Wiendahl im Laufe seiner Karriere verfasst. Bis zu seinen letzten Lebenstagen arbeitete er an Neuauflagen mehrerer Werke – trotz schwerer Krankheit. Das Buch "Betriebsorganisation für Ingenieure" erscheint demnächst in der 9. Auflage, das Handbuch Fabrikplanung wird am IFA fertiggestellt. Die letzten drei von insgesamt 17 Kapiteln hat Wiendahl nicht mehr selbst geschafft.
Am 7. Juli 2019 ist Professor Wiendahl im Alter von 81 Jahren gestorben. Was von ihm bleibt, sind nicht nur Bücher – sondern die Werte, die er hinterlässt: Praxisbezug, Engagement und Kooperation. Die Kollegen am IFA und IPH werden Professor Wiendahl für seine prägende Arbeit ewig dankbar sein.