Die Zuführtechnik nimmt eine Schlüsselrolle in der automatisierten Montage ein. Bauteile, die oft unsortiert bereitgestellt werden, müssen dem eigentlichen Montageprozess vereinzelt und geordnet übergeben werden. Diese Herausforderung teilweise mehrere hundert Mal pro Minute zu bewältigen, ist die Aufgabe der Zuführtechnik.
In der industriellen Anwendung wird dafür häufig der Vibrationswendelförderer (VWF) eingesetzt. Dieser zeichnet sich durch einen einfachen Aufbau und geringe Betriebskosten aus. Gleichzeitig sind VWF unflexibel, da für jedes Bauteil spezifische mechanische Schikanen entwickelt werden müssen. Bereits kleinste Änderungen an den Bauteilen können die Leistung eines bestehenden VWF deutlich reduzieren.
Um diesen Defiziten konventioneller Zuführsysteme entgegenzuwirken, hat das Institut für Fabrikanlagen und Logistik (IFA) die aerodynamische Zuführtechnik entwickelt. Mithilfe von Luft – statt mechanischer Schikanen – werden Werkstücke zuverlässig, schnell und flexibel zugeführt.
Im aktuellen Projekt, das von der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG) gefördert wird, forscht das Institut für Montagetechnik (match) in Zusammenarbeit mit dem IFA an der Vorhersage des Bauteilverhaltens – mit dem Ziel, die Flexibilität und Robustheit der aerodynamischen Zuführtechnik zu erhöhen.
Wie funktioniert die „Aero“?
Bei der aerodynamischen Zuführtechnik erfolgt das Orientieren der Bauteile mithilfe eines Luftstrahls (siehe Video).
Der Erfolg dieser Zuführtechnik hängt von fünf Parametern ab (siehe Bild 2). Der Luftstrahl tritt mit einem definierten Druck p aus einer Düse aus. Vor der Düse werden die Bauteile mit einem Förderband auf die eingestellte Geschwindigkeit v beschleunigt und während des Orientierungsprozesses von der Führungskante mit der Steigung α und der Führungsebene mit der Neigung β geführt. Bauteile mit einer variierenden Anströmfläche oder einer exzentrischen Schwerpunktlage verhalten sich dabei unterschiedlich. Je nachdem, in welcher Orientierung sie die Düse erreichen, drehen sich die Bauteile in die gewünschte Lage oder behalten ihre Orientierung bei. Um sich unterschiedlichen Bauteilen besser anpassen zu können, kann die Position der Düse z senkrecht zur Bewegungsrichtung der Bauteile verstellt werden.
Mithilfe einer hinter dem Orientierungsmodul angeordneten Zeilenkamera wird die Orientierungsrate bestimmt – das ist der Anteil richtig orientierter Teile an der Zahl insgesamt zugeführter Teile. Für jedes zuzuführende Bauteil existieren unterschiedliche Kombinationen dieser fünf Parameter, welche eine hohe Orientierungsrate gewährleisten. Die manuelle Suche nach einer geeigneten Parameterkombination erfordert jedoch erfahrene Mitarbeiter und kostet viel Zeit. Daher befähigen das IFA und das match die Anlage dazu, sich selbstständig auf neue Bauteile einzustellen.
Autonom flexibel
Mithilfe der intelligenten Steuerung können sich die Anlagenparameter autonom, innerhalb einer kurzen Erprobungsphase, selbst einstellen. Um ein neues Bauteil einzulernen, muss der aerodynamischen Zuführanlage lediglich demonstriert werden, in welche gewünschte Orientierung das Bauteil gebracht werden soll. Anschließend werden in der Steuerung mithilfe eines genetischen Algorithmus zufällige Parameterkombinationen (Individuen) erzeugt und an der realen Anlage eingestellt.
Mithilfe der Zeilenkamera wird die Orientierungsrate bestimmt, die mit diesen Parametereinstellungen erreicht wird. Durch die Anwendung evolutionärer Methoden wie Mutation, Rekombination und Selektion, werden aus Individuen mit vielversprechenden Parameterkombinationen neue Individuen erzeugt. Dadurch erfolgt eine ständige Verbesserung der Orientierungsrate – der Algorithmus konvergiert.
Der Algorithmus wird so lange ausgeführt, bis eine zufriedenstellende Orientierungsrate erreicht ist. Durch die hohe Zuführgeschwindigkeit der Anlage können mehrere Individuen pro Minute getestet werden. Die Einstellzeit der Anlage auf ein völlig neues Bauteil beträgt daher meist nur wenige Minuten.
Probleme vorhersehen durch Simulation
Allerdings eignet sich nicht jedes Werkstück für die aerodynamische Zuführung. Im Rahmen des aktuellen Forschungsprojekts erarbeitet das match daher durch ausführliche experimentelle Untersuchungen einen Katalog, der es ermöglichen soll, die Eignung für die aerodynamische Zuführung mit einem Blick abzuschätzen (siehe Bild 3). Wichtige bauteilbezogene Kriterien für eine erfolgreiche Zuführung sind die Länge, der Durchmesser, das Verhältnis aus den beiden Werten, die Masse und die Schwerpunktlage. Damit ist es potentiellen Anwendern möglich, schnell und einfach das Potential der aerodynamischen Zuführtechnik für ihre Produktpalette abzuschätzen.
Um auch die weiteren Eigenschaften der Bauteile zu kategorisieren, entwickelt das match ein Modell, mit dem das Verhalten unterschiedlicher Bauteile im aerodynamischen Orientierungsprozess simuliert werden kann. Für das Modell werden die Bewegungsdifferentialgleichungen des Bauteils in Abhängigkeit der fünf Anlagenparameter aufgestellt und schrittweise gelöst. Durch die Analyse der berechneten Bewegung des Bauteils infolge des Luftimpulses kann somit vorhergesagt werden, ob es sich für die aerodynamische Orientierung eignet. Zusätzlich sollen dadurch die besten Anlagenparameter vorhergesagt werden, damit die Einstellzeit der Anlage weiter reduziert werden kann.
Gerüstet für die Zukunft
Um die aerodynamische Zuführtechnik in Zukunft für Unternehmen attraktiver zu machen, arbeitet das match an neuen Methoden für eine noch universeller und flexibler einsetzbare Zuführanlage. Beispielsweise wird erforscht, wie die Einstellung der Anlage durch den Einsatz von Hochgeschwindigkeitskameras in Kombination mit Methoden des maschinellen Lernens beschleunigt und gleichzeitig die Zuverlässigkeit erhöht werden kann. Außerdem soll das zuführbare Bauteilspektrum durch die Implementierung weiterer aerodynamischer Aktoren erweitert werden.
Die aerodynamische Zuführtechnik soll so zur innovativen Alternative zu konventioneller Zuführtechnik werden und die bestehenden Defizite abgebaut werden.