In vielen Bereichen der Fertigung spielt die Anwesenheit von Sauerstoff eine entscheidende Rolle im Hinblick auf die Qualität der Ergebnisse. Aus diesem Grund untersuchen die Wissenschaftler des Sonderforschungsbereiches 1368 „Sauerstofffreie Produktion“ eine breite Auswahl an Prozessen und Wirkzonen in sauerstofffreier Atmosphäre zur Entwicklung zukunftsfähiger Produktionstechniken und Fertigungsverfahren.
Das Institut für Montagetechnik (match) legt im Teilprojekt B04 den Fokus auf die Klebtechnologie. Kleben hat viele Vorteile, beispielsweise die Möglichkeit zum Verbinden heterogener Fügepartner oder empfindlicher Bauteile. Zudem ermöglicht das Kleben eine Gewichtsreduktion gegenüber anderen Fügeverbindungen wie etwa dem Schrauben. Demgegenüber stehen eine aufwendige Prozesskontrolle und ein hoher Zeitaufwand. Um diesen Herausforderungen entgegenzuwirken, untersucht das match das Kleben in sauerstofffreier Umgebung.
Aushärtung von Klebstoff gezielt verlangsamen oder beschleunigen
Zunächst werden Klebstoffe untersucht, deren Abbindereaktionen von Sauerstoff beziehungsweise Feuchtigkeit abhängig sind. Cyanacrylate, welche durch ihre kurze Aushärtezeit als Sekundenklebstoffe bekannt sind, härten durch Initiierungsreaktion mit OH-‑Ionen. Durch deren Abwesenheit in sauerstofffreier Umgebung verlängert sich die Bearbeitungszeit und die Fügepartner können genauer positioniert werden. Anschließend folgt durch Zugabe von Feuchtigkeit die gezielte Aushärtung des Klebstoffs.
Der Aushärteprozess von anaeroben Klebstoffen findet unter Abwesenheit von Sauerstoff statt. Durch Kontakt mit Metallionen werden Radikale freigesetzt, welche die Polymerisation des Klebstoffs einleiten. Mögliche Vorteile des Klebens in der sauerstofffreien Umgebung sind hierbei eine verkürzte Aushärtezeit und eine höhere Klebschichtdicke.
Verklebung reiner Metalle ohne Oxidschicht
In der Praxis versagt der Großteil der Fügeverbindungen durch Ablösen der Klebschicht vom Fügeteil. Dieser Bruch entsteht teilweise durch ungeeignete Klebstoff-Materialpaarungen und teilweise durch unzureichende Vorbehandlung der Oberflächen. In Normalatmosphäre werden Metalloberflächen infolge der chemischen Aktivität praktisch immer mit einer zwischenliegenden Oxidschicht verklebt. Diese Schichten sind meist nachteilig für die Klebeigenschaften eines Werkstoffs.
In sauerstofffreier Umgebung erfolgt die Bildung einer Monolage Metalloxid so stark verlangsamt, dass ein Verkleben ohne zwischenliegende Oxidschicht theoretisch möglich ist. Diese direkten Verbindungen bieten das Potenzial, bislang nicht mögliche Fügepartner-Klebstoff-Kombinationen einzusetzen. Zudem ermöglichen sie höhere Festigkeiten, dünnere Schichtdicken, schnellere Reaktionszeiten, längere Topfzeiten und vieles mehr.
Handschuhbox als sauerstofffreie Prozessumgebung
Da in allen konventionell genutzten Inertgasatmosphären genügend Restsauerstoff vorhanden ist, um eine Oxidation von Metallen zu unterstützen, ist eine reine Inertgasatmosphäre für die Untersuchungen nicht ausreichend. Daher wird der Intergasatmosphäre aus Argon der Güteklasse 5.0 eine geringe Menge Monosilan zugeführt. Monosilan ist ein sehr reaktives Gas und sowohl der Restsauerstoff als auch noch vorhandenes Wasser der Umgebung reagieren schnell und vollständig ab, sodass der Partialdruck des Sauerstoffs auf 10-23 bar gesenkt werden kann. Dies entspricht dem Sauerstoff-Partialdruck einer Atmosphäre äquivalent zu extrem hohem Vakuum (XHV).
Um eine solche Versuchsumgebung realisieren zu können, nutzt das match eine individuell gestaltete Handschuhbox. Die Handschuhbox verfügt über eine Vakuumschleuse für den Transfer in und aus der Handschuhbox-Atmosphäre. Für Versuche, bei denen eine Variation der Umgebung durch gezielte Zugabe von Sauerstoff oder Feuchtigkeit von Nöten ist, steht zusätzlich eine Schleuse aus transparentem PMMA zur Verfügung.
Zerstörende Prüfverfahren zur Analyse der technischen Eigenschaften
Um Kenntnisse über die Eigenschaften von Klebstoffen an oxidierten und oxidfreien Fügepartnern zu gewinnen, werden verschiedene Analysemethoden genutzt. Die technischen Eigenschaften der Klebungen, wie beispielsweise die Festigkeit, werden am match über zerstörende Prüfverfahren direkt in sauerstofffreier Umgebung ermittelt.
Um Zusammenhänge zwischen gemessenen technischen Eigenschaften und der Adhäsion auf molekularer Ebene zu verstehen, kooperiert das match mit dem Clausthaler Zentrum für Materialforschung (CZM). Dort werden Methoden der Oberflächenphysik wie Röntgenphotoelektronenspektroskopie oder Rasterkraftmikroskopie eingesetzt und so die Anbindung an der Grenzfläche zwischen Klebstoff und Fügepartner und die Aushärtung des Klebstoffs auf molekularer Ebene untersucht.
Langfristige Perspektive klebstoffbasierter Montageprozesse
Erste Untersuchungen haben gezeigt, dass das Kleben in XHV-adäquater Atmosphäre neue Möglichkeiten für eine flexible Prozesskontrolle bietet. Um das aufgebaute Prozessverständnis zu vertiefen, werden die Untersuchungen langfristig auf weitere Fügepartnermaterialien und Klebstoffe ausgeweitet. Die am match und CZM gewonnenen Erkenntnisse werden in ein Modell überführt, das die Auslegung von Klebverbindungen und -prozessen in sauerstofffreier Atmosphäre unterstützt. Langfristig wird der Aufbau eines umfassenden simulationsbasierten Modells angestrebt, welches dazu befähigt, oxidfreie Verklebungen weitgehend werkstoff- und geometrieunabhängig auslegen zu können.
Weitere Informationen zum SFB 1368 „Sauerstofffreie Produktion“ erhalten Interessierte unter www.sfb1368.uni-hannover.de.