Effiziente Planung und Steuerung von Fertigungsprozessen erfordert – mit zunehmendem Wunsch nach Wirtschaftlichkeit – mehr Informationen über den Fertigungszustand. Größere Unternehmen bedienen sich aufwändiger EDV-Systeme, für die Sensoren in die Fertigung eingebracht werden. Bei kleinen und mittleren Unternehmen hingegen steckt die Erfassung von Fertigungsdaten noch in den Kinderschuhen. Dabei ist gerade hier ist die Planung von Fertigungsprozessen aufwändig und datenhungrig, da das Produktportfolio ständig wechselt.
Zum Glück schlummert in den verschiedenen Hard- und Softwaresystemen eines Unternehmens jede Menge digitales Gold in Form verschiedener Daten, die effizient genutzt die Fertigungsplanung und -steuerung beflügeln können. Ob hochgenaue Angebotskalkulation, Echtzeit-Fertigungssteuerung oder die Identifikation von Verschwendung: Für verschiedenste Fälle liegen die erforderlichen Informationen bereits im Unternehmen vor.
Industrie 4.0 für KMU
Lange bevor es den Namen Industrie 4.0 gab, beschäftigte sich das Institut für Fertigungstechnik und Werkzeugmaschinen (IFW) der Leibniz Universität Hannover bereits mit den Themen, die heute unter diesem Begriff zusammengefasst werden. Nah an der Werkzeugmaschine entwickelt es seit mehr als zehn Jahren konkrete Lösungen für die IT-gestützte Fabrik, um die Fertigungsplanung und -steuerung effizient zu gestalten. Jetzt hat das Team um Professor Dr. Berend Denkena es sich zum Ziel gesetzt, die IT-gestützte Fertigung auch bei kleinen und mittleren Unternehmen (KMU) fit für die Zukunft zu machen.
Während Großunternehmen davon träumen, dass sich Bauteile künftig wie von selbst durch die Fertigung bewegen, erforscht und entwickelt das IFW konkrete, greifbare und direkt nutzbare Anwendungen für KMU. In Zukunft können die Unternehmen zum Beispiel genau nachvollziehen, wie lange welcher Fertigungsschritt dauert, und mit diesen Daten ihre Angebote viel genauer kalkulieren. Oder sie sammeln Informationen darüber, welche Maschine wann wie stark ausgelastet ist – und entscheiden danach, ob sich die Anschaffung eines leistungsfähigeren Modells lohnt.
Ungenutzte Daten schlummern überall
Der erste Schritt auf dem Weg dorthin ist die Datenerfassung ohne zusätzliche Implementierung von Sensoren. Dabei werden diejenigen Daten genutzt, die im Unternehmen geradezu von selbst anfallen, bisher jedoch nicht genutzt werden. Beispielsweise können Daten der Steuerung einer modernen Werkzeugmaschine verwendet werden, um Terminals zur Betriebsdatenerfassung (BDE) überflüssig zu machen. Der aktuelle Auftragszustand kann über die Kombination von NC-Programmname und Programmfortschritt sekundengenau erfasst und in die Planung überführt werden.
Informationen sammeln per App
Entwickelt werden dafür kleine Apps, die auf den Maschinen installiert werden. Diese Apps bilden die Schnittstellen für beliebige Anwendungen und sind aufgrund ihres einfachen Aufbaus ressourcenschonend und vom Anwender selbst ohne Programmierkenntnisse nutzbar. Zur Datenübertragung wird dabei das http-Protokoll verwendet, sodass auch Abfragen mit Microsoft Excel oder Access möglich sind und keine teuren Spezial- und Sonderlösungen notwendig sind. Somit kann auch bei weiteren Projekten auf diese Informationsquellen zugegriffen werden, etwa bei Taktzeit- und Energieanalysen.
"Digitales Gold" steigert die Fertigungseffizienz
Im nächsten Schritt wird neben der Erfassung die Speicherung der Daten standardisiert. Die Herausforderung dabei: Die Daten müssen unabhängig vom späteren Anwendungsfall gespeichert und strukturiert werden, um für alle Eventualitäten das richtige Wissen zur Hand zu haben. Denn die allwissende Fabrik ist die Voraussetzung für die sich selbst steuernde Fertigung, von der Industrie-4.0-Visionäre träumen. Doch schon von dieser allwissenden Fabrik profitieren KMU in hohem Maße durch die Möglichkeit, vergangene Arbeitsvorgänge sekundengenau zu erfassen und aus ihnen zu lernen – denn dadurch können sie beispielsweise Angebote wesentlich genauer kalkulieren und Fertigungsprozesse in Echtzeit planen.
Schutz vor Datendiebstahl
Sind die Informationen erst einmal gesammelt und gespeichert, müssen sie zueinander in Bezug gesetzt, interpretiert und ausgewertet werden. Auch damit befasst sich das IFW. Die Mitarbeiter entwickeln Abläufe und Konzepte für konkrete Anwendungsfälle – beispielsweise für die Angebotskalkulation oder die Investitionsplanung. Die hauseigene Softwareentwicklung setzt diese Konzepte dann direkt um, sodass sie von interessierten Unternehmen angewendet werden können. Oberste Prämisse ist die Universalität und Einfachheit der entwickelten Systeme, denn selten verfügen KMU über homogene Softwarelandschaften von einem Hersteller. Einfache, etablierte Standarddatenformate sorgen hier dafür, dass bestehende Software weiterverwendet werden kann.
Selbstverständlich birgt die vernetzte Fertigung auch Risiken. Daher bietet das IFW auch Unterstützung beim Aufbau einer vertrauensvollen IT-Infrastruktur. Beraten wird hier zu den Themen Datensicherheit, Datensicherung und Datenschutz, damit sich Unternehmen gegen Gefahren wie Industriespionage, Totalausfall oder die Verletzung von Persönlichkeitsrechten schützen können.
IFW gründet Arbeitskreis Fertigungsdaten
Das IFW baut die eigene Kompetenz des Fertigungsdatenmanagements stetig aus und teilt sein Wissen gern mit interessierten Unternehmen, die auf der Suche nach ihrer eigenen digitalen Revolution sind. Für das Frühjahr 2015 ist daher die Gründung eines Arbeitskreises Fertigungsdaten geplant. Unternehmen, die sich daran beteiligen möchten, steht Karl Doreth vom IFW unter der Telefonnummer (0511) 762-18046 zur Verfügung.