Dank neuer Sensorkonzepte nehmen Fahrzeuge ihre Umwelt immer genauer wahr: Sie messen Abstand, Geschwindigkeit und Lichtverhältnisse, erfassen Fahrbahnmarkierungen und Straßenschilder. Damit sollen sich Autos künftig autonom, effizient und sicher durch den Straßenverkehr bewegen.
Auch das Institut für Mikroproduktionstechnik (IMPT) der Leibniz Universität Hannover forscht auf diesem Gebiet. Gemeinsam mit der Continental Reifen GmbH arbeiten die Wissenschaftler an neuen Fertigungskonzepten, um mikrotechnologisch gefertigte Bauteile direkt im Reifen zu implementieren. Dort sollen die Sensoren Belastung und Temperatur erfassen.
Mikrotechnologie im Reifen: Der „Stud Sensor“ misst die Belastung …
Auf dem Weg zum intelligenten Reifen betrachten die Wissenschaftler zwei unterschiedliche Konzepte. Der „Stud Sensor“ wird direkt in die Lauffläche des Reifens eingebracht wird und misst dort die Belastung. Das Sensorkonzept beruht auf dem Messprinzip bestimmter Magnetfeldsensoren, dem sogenannten anisotropen magnetoresistiven Effekt (AMR-Effekt).
Der AMR-Effekt basiert auf einer Widerstandsänderung von dünnen Schichten durch den Einfluss von Magnetfeldern. Herbeigeführt wird diese Magnetfeldänderung im Reifen durch eine Relativbewegung des Spikes, an dem sich ein Hartmagnet befindet, zu einer magnetoresistiven Sensorstruktur, die unter dem Spike in der Gummimatrix sitzt. Um die Lage des Spikes exakt erfassen zu können, haben die Forscher einen Hartmagnet in Kombination mit vier einzelnen AMR-Sensoren verwendet. Durch die Verkippung des Spikes ändert sich der Widerstand der Sensoren unterschiedlich stark. Die daraus entstehende Widerstandsänderung lässt Rückschlüsse auf die Belastung des Reifens im Fahrbetrieb zu.
… der „Strain Sensor“ ermöglicht Rückschlüsse auf die Temperatur
Ein weiteres Konzept, der sogenannte „Strain Sensor“, erfasst die Dehnung von Materialien mit Hilfe von Dehnungsmessstreifen (DMS). DMS sind üblicherweise auf Folien gefertigte Dünnfilmstrukturen, die eine Mäanderform aufweisen. Verformt oder dehnt sich der Körper, auf dem solch ein Dehnungsmessstreifen aufgebracht wurde, verändert sich die Länge des Leiters und eine Widerstandsänderung ist messbar.
Neben der mechanischen Belastung führt auch eine temperaturabhängige Materialausdehnung zu einer Widerstandsänderung. So lassen sich indirekt Rückschlüsse auf die Temperatur des Reifens ziehen. Damit die Einflussgrößen einzeln erfasst werden können, ist die Verschaltung der Sensoren in einer Wheatston’schen-Brücke notwendig.
Werkstoff Gummi: Eine Herausforderung für die Mikrotechnologie
Um die Sensoren im Reifen zu testen, haben die Forscher am IMPT zunächst Folienstreifen mit DMS-Strukturen in eine Gummimatrix einvulkanisiert. Die eingebrachte Folie bildete jedoch eine große Fehlstelle im Reifen und führte dazu, dass sich das Schichtsystem ablöste. Die Forscher mussten daher neue Ansätze finden, um die Messwerte im Reifen zu erfassen – und zunächst einmal Erfahrungen mit dem Werkstoff Gummi sammeln, der für die Mikrotechnologie durchaus ungewöhnlich ist.
Zusammen mit der Continental Reifen GmbH entwickelt das IMPT nun ein ganzheitliches Konzept des intelligenten Reifens. Im Projekt „Intelligent Tire“ werden Forschungsfragen gestellt, die noch völliges Neuland sind. Das IMPT verfügt zwar über Expertise in der Beschichtungstechnik sowie Aufbau- und Verbindungstechnik, Gummi findet als Substratmaterial aber bisher nur selten Anwendung und bedarf daher weiterer Forschung.
Was passiert mit Gummi in einer Hochvakuumanlage? Welche Beschichtungstechnologien verursachen möglicherweise chemische Reaktionen mit dem Gummi? Wie können funktionsfähige Schichtsysteme erzeugt werden? – Dies waren nur einige der Fragen, die bei der Forschung mit dem Substrat Gummi auftraten und die bei anderen Materialen selten eine Rolle spielen.
Blick in die Zukunft: Intelligenter Reifen für autonome Fahrzeuge
Die Forschung zum intelligenten Reifen zeigt inzwischen Erfolg: Am IMPT konnten erste Beschichtungen durchgeführt und Prozesse ermittelt werden, um Gummi mit Metallen wie etwa Gold zu beschichten (siehe Foto). Die Beschichtung ist die Voraussetzung für den Aufbau von Mikrosystemen. Präzise Strukturierungsmöglichkeiten, um definierte Sensorstrukturen abzubilden, konnten die Forscher am IMPT ebenfalls schon entwickeln.
Zwar sind noch viele Fragen unbeantwortet, doch sicher ist: Die so unterschiedlichen Welten der Reifenfertigung und der Mikroproduktionstechnik sind kombinierbar. Zukünftig werden sie Sensoren ermöglichen, die mit konventionellen Herstellungsverfahren nicht im Reifen integrierbar wären – ein weiterer Schritt auf dem Weg zum autonomen Fahren.