Die autonome Drohne des IPH wird künftig durch eine Fabrikhalle der BMW Group fliegen, vollständig autonom navigieren und jeden Millimeter vermessen – um einen Digitalen Zwilling der Halle zu erstellen und regelmäßig zu aktualisieren.
Ziel ist es, die Fabrikhalle jederzeit als aktuelles, dreidimensionales Abbild verfügbar zu haben. Das erleichtert es, Produktionslinien umzustrukturieren oder neu aufzubauen, wenn beispielsweise neue Produkte gefertigt werden sollen. Dafür wird jede Maschine, jeder Roboter, jeder Arbeitsplatz im sogenannten Werkkoordinatensystem verzeichnet.
Um den Digitalen Zwilling aktuell zu halten, muss die Fabrik regelmäßig vermessen werden. Das geschieht durch ein Fahrerloses Transportsystem (FTS), einen Roboterhund und die Drohne, die das IPH entwickelt. Aus der Luft kann die Drohne jene Bereiche vermessen, die vom Boden aus nicht erreichbar sind, wie beispielsweise abgeschlossene Roboterzellen oder Förderbänder.
BMW arbeitet schon länger an einem Digitalen Zwilling der Produktion. Im Forschungsprojekt AIMS 5.0 soll dieses Ziel auf die Spitze getrieben werden, mit Unterstützung von Wissenschaftler:innen des IPH – Institut für Integrierte Produktion Hannover gGmbH und der Universität Madrid. Die Ergebnisse des öffentlich geförderten Forschungsprojekts sollen am Ende auch anderen Unternehmen zu Gute kommen und den gesamten Produktionsstandort Europa stärken.
Auf dem Weg zur Industrie 5.0
53 Partner aus zwölf Ländern gehören zum Projektkonsortium von AIMS5.0, darunter produzierende Unternehmen, Zulieferbetriebe, Spezialist:innen, Forschungsinstitute und Universitäten. In unterschiedlichen Arbeitsgruppen arbeiten sie an 20 Anwendungsfällen aus neun Branchen.
Ihr gemeinsames Ziel ist es, die nächste industrielle Revolution in Europa voranzubringen: von der automatisierten, digitalisierten Produktion – der Industrie 4.0 – zur intelligenten, denkenden Produktion, der Industrie 5.0.
„Moderne Produktionsprozesse im Sinne von Industrie 5.0 beziehen den Menschen, die Umwelt und die gesamte Lieferkette ein“, sagt Rutger Wijburg, Chief Operating Officer der Infineon Technologies AG, die das Forschungsprojekt AIMS5.0 leitet und koordiniert. Durch den verstärkten Einsatz von Künstlicher Intelligenz (KI) könnten Unternehmen nicht nur ihre Wettbewerbsfähigkeit steigern, sondern auch nachhaltiger produzieren.
Im Forschungsprojekt sollen zahlreiche KI-Tools entwickelt werden und das Vertrauen in Künstliche Intelligenz soll gestärkt werden – als wichtige Voraussetzung für die Akzeptanz und Umsetzung der neuen Technologien in Unternehmen.
Um aufzuzeigen, was künftig in der Industrie 5.0 möglich ist, werden innerhalb von AIMS5.0 20 Anwendungsfällen in Unternehmen umgesetzt – einer davon ist der Digitale Zwilling der Fabrikhalle.
Herausforderungen beim autonomen Drohnenflug
Innerhalb des Anwendungsfalls übernimmt das IPH die gesamte Entwicklung der autonomen Drohne. Das Team um den Drohnen-Experten Hendrik Kumpe stellt zunächst die Hardware zusammen, entscheidet, welche Arten von Kameras oder Sensoren für den autonomen Flug am geeignetsten sind und wie die Drohne konstruiert sein muss, um zusätzliche Ausrüstung – den sogenannten Payload – tragen zu können. Darüber hinaus entwickelt das Team die Software für den autonomen Drohnenflug.
Technisch ist der autonome Drohnenflug eine Herausforderung. Die Drohne muss jederzeit ihre Position bestimmen können, ohne dabei GPS zu nutzen, weil dies in geschlossenen Räumen nicht funktioniert. Sie muss Hindernisse erkennen und Kollisionen sicher vermeiden können – nicht nur mit Wänden, sondern auch mit Kabeln, Glasscheiben oder beweglichen Hindernissen. Sie muss selbstständig ihre Flugroute planen, um in unbekannten Räumlichkeiten bis in den letzten Winkel explorieren zu können – und das in möglichst kurzer Zeit, um die Produktion nicht zu stören. Und sie muss gegebenenfalls selbstständig eine Ladestation anfliegen oder den Akku wechseln.
Die autonome Flugplanung will das IPH-Team auf drei verschiedene Arten umsetzen. Zum einen soll die Geschwindigkeit optimiert werden – die Drohne soll einen unbekannten Raum in möglichst kurzer Zeit vollständig erkunden. Zum anderen soll die Drohne photogrammmetrie-optimiert fliegen, also in optimaler Höhe und mit optimalem Abstand zu Objekten, um diese vollständig und dreidimensional erfassen zu können. Und zu guter Letzt wird die Flugplanung für den Laserscan optimiert. In diesem Fall muss die Drohne in gewissen Abständen in der Luft stehen bleiben und den Scan durchführen.
„Unser Ziel ist es, dass wir am Ende an der Drohne einstellen können, in welchem Modus sie fliegen soll“, erklärt Hendrik Kumpe. So könnten Unternehmen ein- und dasselbe System für unterschiedliche Anwendungsfälle nutzen.
Drohnen-Messdaten fließen in Digitalen Zwilling der Fabrikhalle ein
Nachdem das IPH die Drohne entworfen, gebaut und getestet hat, wird BMW damit die Fabrikhalle aufnehmen und die Daten in das Werkkoordinatensystem integrieren. Ziel ist eine Vermessung auf mindestens zwei Millimeter genau.
Geplant ist, dass die Drohne jede Nacht fliegt, sodass der Digitale Zwilling der Fabrikhalle alle 24 Stunden aktualisiert werden kann. Aus Sicherheitsgründen darf die Drohne nach aktuellen Richtlinien nur fliegen, wenn sich keine Menschen in der Produktionshalle befinden. Bei BMW ist das in der Nacht der Fall, in anderen Unternehmen müsste die Drohne beispielsweise Pausenzeiten nutzen und im Geschwindigkeits-optimierten Modus sehr schnell die Halle vermessen.
Autonome Drohnen in der Katastrophenhilfe, im Bergbau oder in Atomkraftwerken
Die Vermessung von Fabrikhallen zur Erstellung eines Digitalen Zwillings ist dabei nur einer von mehreren Anwendungsfällen für autonome Drohnen. Künftig könnten autonome Drohnen überall dort zum Einsatz kommen, wo unbekannte Räume erkundet werden müssen, ohne Menschen in Gefahr zu bringen. Autonome Drohnen könnten eingestürzte oder brennende Gebäude durchsuchen, Bergwerke inspizieren oder in stillgelegte Atomkraftwerke fliegen, um die Strahlung zu messen.
Für produzierende Unternehmen erleichtert die Drohnentechnik insbesondere die Planung und Umstrukturierung von Fabrikhallen. So können Unternehmen zum einen den vorhandenen Platz effizienter nutzen, zum anderen können sie ihre Produktion schnell und mit verhältnismäßig wenig Aufwand an den sich wandelnden Markt anpassen.