Der wirtschaftliche Erfolg von kleinen und mittleren Unternehmen (KMU) in der Lohn- und Auftragsfertigung hängt wesentlich davon ab, wie effizient die Angebotserstellung und Auftragsvergabe abläuft. Nur dann können Produktionsressourcen ausgelastet und eine termintreue Fertigung gewährleistet werden. Die Auftragsvergabe erfolgt meist kurzfristig und erfordert sehr viel Abstimmung zwischen den Vertragspartnern.
Handelsplattformen sollen helfen, neue Aufträge zu akquirieren und die Auslastung zu steigern. Gleichzeitig bieten sie Unterstützung bei der Suche nach geeigneten Unternehmen für die Auslagerung einzelner Fertigungsschritte. Doch auch die Arbeit mit klassischen Handelsplattformen ist mit beträchtlichem manuellem Aufwand verbunden.
Ein innovatives Assistenzsystem zum automatisierten Handel mit Produktionskapazitäten soll den Arbeitsaufwand reduzieren und Unternehmen befähigen, Angebote automatisch zu erstellen. Entwickelt wird das System vom Institut für Fertigungstechnik und Werkzeugmaschinen (IFW) im Rahmen des Projektes „Assistenzsystem zum unternehmensübergreifenden Handel von Produktionskapazitäten (JobTRADE)“.
Optimierungspotenzial im Angebotsprozess
Können wir den Auftrag auf unseren Maschinen fertigen? Welchen Liefertermin können wir dem Kunden nennen – und welchen Preis? Machbarkeitsprüfung, Terminierung und Kalkulation sind in Unternehmen mit viel Aufwand verbunden. Hier besteht ein erhebliches Einsparungspotenzial. Laut einer Studie unter 110 mittelständischen Produktionsunternehmen macht allein die Informationsbeschaffung 30 % der nicht-wertschöpfender Arbeitszeit aus.
Das bestätigen die Wissenschaftler des IFW: Im Projekt JobTRADE haben sie Experteninterviews bei Kunden ihres Kooperationspartners Fauser AG durchgeführt, einem Anbieter von Enterprise Resource Planning (ERP) und Manufacturing Execution Systemen (MES). Dabei wurden die Schwachstellen im Informationsfluss des Angebotsprozesses deutlich. Fehlende Bauteilspezifikationen, langwierige Rückfrageschleifen und das verteilte Wissen über die eigenen Fertigungskompetenzen und -kapazitäten können die Dauer der Angebotserstellung von wenigen Stunden auf über eine Woche erhöhen.
JobTRADE nutzt ERP- und MES-Daten
Eine Reduzierung der nicht-wertschöpfenden Arbeitszeit zur Informationsbeschaffung um 30 % wird durch das Assistenzsystem JobTRADE angestrebt (siehe Abbildung 2). Erreicht werden soll dieses Ziel mit der Integration von ERP- und MES-Daten. Damit setzt sich das JobTRADE-System von am Markt aktiven Handelsplattformen ab.
Diese erstmalige Verknüpfung zu den internen Planungs- und Verwaltungssystemen ermöglicht eine Automatisierung des Kapazitätshandels, beginnend mit der Eingabe der Auftragsdaten in ein standardisiertes Formular. Anschließend werden die Unternehmen im Netzwerk, welche die angefragten Prozesse ausführen können, automatisiert bestimmt. Hierbei werden Unternehmenskompetenzprofile (UKP) mit den Informationen des Auftrags abgeglichen. Bei positiver Prüfung stößt das Assistenzsystem die Terminierung und Preiskalkulation an. Abschließend stehen dem Auftraggeber alle eingegangenen Angebote in einer übersichtlichen Darstellung zur Verfügung.
Unternehmenskompetenzprofil
Um automatisiert prüfen zu können, ob eine standardisiert eingehende Anfrage zur Produktion eines Auftrags machbar ist, wird Wissen über die Fähigkeiten der Fertigungsressourcen eines Unternehmens benötigt. Daher haben die IFW-Wissenschaftler im Forschungsprojekt JobTRADE zunächst das Unternehmenskompetenzprofil (UKP) umgesetzt (siehe Abbildung 3).
Zweck des UKP ist es, eine zentral verfügbare Darstellung der Kompetenzen zu erreichen. Das UKP baut ebenso wie die standardisierte Anfrage auf einer restriktionsbezogenen Cloud-Prozessmatrix auf. In dieser sind alle definierten JobTRADE-Prozesse (JTP) erfasst – mit breiter Abdeckung von CNC-Fertigungsverfahren, additiver Fertigung sowie Nachbearbeitungsverfahren. Für jeden Prozess sind Restriktionen hinterlegt, die für die Prozessfähigkeit ausschlaggebend sind und unmittelbar zur Verfügung stehen. Diese Struktur ist in Abbildung 3 dargestellt. Über ein Plug-In können die Restriktionen in die Ressourcenbeschreibung des ERP-Systems übertragen werden.
Expertenwissen einmalig hinterlegen
Unternehmen, die das JobTRADE-System in Zukunft nutzen wollen, müssen die prozessspezifischen Datenfelder einmalig mit Expertenwissen füllen. Im Mittel handelt es sich um 10 bis 15 Datenfelder pro Prozess. Diese umfassen beispielsweise Informationen zu möglichen Bauteilabmessungen, Verfahrwegen und Toleranzen. Anschließend werden die Restriktionen von allen Produktionseinheiten für die jeweiligen Prozesse zusammengefasst. Die Darstellung erfolgt in Matrixform, manuelle Anpassungen durch den Nutzer sind möglich.
Über eine auf Web-API basierende Schnittstelle wird das UKP zum Profil des Unternehmens auf der JobTRADE-Onlineplattform hinzugefügt. Um Aktualität des UKP auch langfristig zu gewährleisten, wird eine SQL-Verbindung zur Betriebsdatenerfassung (BDE) hergestellt. Hierdurch kann autonom registriert werden, dass ein Produkt im verlinkten Prozess gefertigt wurde, welches außerhalb der bisherigen Begrenzungen liegt. In diesem Fall hat das Unternehmen seine Kompetenzen ausgebaut und das UKP wird auf die entsprechenden Parameter erweitert. Im Rahmen der technischen Machbarkeitsprüfung kann somit unmittelbar festgestellt werden, ob ein Auftrag außerhalb der Kompetenzen liegt. Werden die Restriktionen des UKP nicht verletzt, erfolgt anschließend die Abfrage der Begrenzungen auf Maschinenebene.
Das JobTRADE-Assistenzsystems soll Unternehmen zur automatisierten Angebotserstellung befähigen. Die Erprobung im industriellen Umfeld ist für das Jahr 2021 geplant.
Förderhinweis
Das Projekt „Assistenzsystem zum automatisierten Handel von Produktionskapazitäten“ wird gefördert durch den europäischen Fond für regionale Entwicklung.