Fast acht Milliarden Euro Umsatzeinbußen entstehen dem deutschen Maschinen- und Anlagenbau laut VDMA pro Jahr durch Plagiate und Nachbauten, dazu kommen ungerechtfertigte Regressansprüche und ein immenser Imageschaden.
Wenn es nach den Ingenieurwissenschaftlern vom Institut für Fertigungstechnik und Werkzeugmaschinen (IFW) und ihren Projektpartnern vom Institut für Informationsverarbeitung (TNT) der Leibniz Universität Hannover geht, könnte es schon in wenigen Jahren ein sehr einfaches, sehr sicheres Verfahren geben, Plagiate eindeutig zu entlarven. Denn nach der Finish-Bearbeitung durch Schleifen hat ein Bauteil eine Oberfläche, die absolut unverwechselbar ist. Von einem kleinen, genau definierten Bereich dieser Oberfläche erstellen die Wissenschaftler ein Höhenprofil in mikroskopischer Auflösung. Und auf dieses Höhenprofil wenden sie ein Verfahren aus der Informationsverarbeitung an – eine sogenannte kontinuierliche Wavelet-Transformation -, die ihnen charakteristische Vergleichsmerkmale liefert: den Fingerdruck des Bauteils.
Keine Übereinstimmung? Das Bauteil ist ein Plagiat
Angenommen, ein Kunde reklamiert ein Bauteil wegen Versagens beim Hersteller und es besteht der Verdacht, dass es sich um ein plagiiertes Bauteil handelt. Ein Hersteller, der die Fingerabdrücke all seiner Bauteile gespeichert hat, kann nun an der definierten Stelle des defekten Bauteils das Profil erfassen und die charakteristischen Vergleichsmerkmale – den Fingerabdruck – ermitteln. Stimmen die Merkmale mit einem Fingerabdruck in seiner Datenbank überein, handelt es sich um ein Original. Gibt es keine Übereinstimmung, ist das Bauteil ein Plagiat.
„Die Wahrscheinlichkeit“, sagt Rolf Hockauf, „dass zwei Bauteile die gleichen 20 Merkmale aufweisen, liegt bei einem Trillionstel, also 10 hoch minus 18. Praktisch gesehen heißt das also: sie ist gleich null. Selbst wenn man wüsste, wo genau das Oberflächenprofil des Bauteils erfasst wurde: Es kann nicht reproduziert werden.“ Hockauf, der dieses Projekt des Sonderforschungsbereichs 653 „Gentelligente Bauteile im Lebenszyklus“ bearbeitet und sich am IFW mit der Funktionalisierung von Oberflächen beschäftigt, hat festgestellt, wie fasziniert Gesprächspartner aus der Industrie vom Gedanken des Fingerabdrucks sind – und er kennt auch ihre Fragen. Seine Antwort lautet: „Natürlich kann man das Verfahren nicht auf Oberflächen anwenden, die mit der Zeit extrem verschleißen, wie es etwa bei Laufflächen von Lagern der Fall ist. Die Wiedererkennung ist dagegen durchaus robust: Bis zu 20 Prozent der Oberfläche dürfen zerstört sein, etwa durch Korrosion oder Kratzer.“
So einfach wie der Scanner an der Supermarktkasse
Zurzeit arbeitet Hockauf daran, die Methode auch bei gefrästen und gedrehten Bauteilen anzuwenden. Das Prinzip ist auch hier das gleiche – und es sieht so aus, als wären auch dann eindeutige Merkmale vorhanden, wenn nicht die Zufälligkeit von Schleifpartikeln, sondern definierte Schneidkanten die Oberflächen prägen. Einen weiteren wichtigen Punkt hat Hockauf noch vor sich: „Wir wollen ein Messgerät für die Merkmale entwickeln, das so einfach funktioniert wie der Scanner an der Supermarktkasse.“ Schließlich soll der Fingerabdruck auch unter wirtschaftlichem Druck in einer Werkstattumgebung anwendbar sein.
Die Wissenschaftler sind daran interessiert, diesen Schritt mit einem Industriepartner zu gehen. Sie haben mit ihrer Grundlagenforschung den Punkt erreicht, an dem sie jetzt mit den konkreten Anforderungen von Anwendern ihre Erkenntnisse für die Praxis umsetzen wollen.