Krankenhaussysteme stehen vor ähnlichen Herausforderungen wie Fabriken: historisch gewachsene Prozesse mit einer starken Funktionsorientierung führen zu Ineffizienzen sowie mangelnder Wirtschaftlichkeit des Systems und alte, wandlungsträge Gebäudestrukturen verhindern die Anpassung an aktuelle und künftige Herausforderungen.
Fabrikplanende sprechen von Flussorientierung und Wandlungsfähigkeit, wenn es darum geht, Systeme effizient und zukunftsfähig zu gestalten. Um diese Zielfelder auf die Krankenhaus(bau)planung zu übertragen, arbeitet das Institut für Fabrikanlagen und Logistik (IFA) der Leibniz Universität Hannover mit dem Institut für Technologie und Management im Baubetrieb (TMB) des Karlsruher Instituts für Technologie (KIT) zusammen. Im Rahmen des Forschungsprojektes „MedFAP“ entwickeln sie fabrikplanerische Leitprinzipien zur Planung von flussorientierten Krankenhäusern mit wandlungsfähigen Raum-, Technik- und Organisationskonzepten.
Forschung mit Praxisrelevanz für die Krankenhaus(bau)planung
Die wirtschaftliche Situation von Krankenhäusern ist prekär. Für die Behandlung von Patient*innen werden den Krankenhäusern nicht die tatsächlich entstandenen Kosten erstattet, sondern eine festgelegte Pauschale nach diagnosebezogenen Fallgruppen gezahlt. Die Behandlungskosten sind folglich möglichst niedrig zu halten, zumal Krankenhäuser aus ihren Einnahmen zukünftige Investitionsbedarfe selbstständig erwirtschaften müssen. Darüber hinaus resultiert aus dem turbulenten Umfeld der Krankenhäuser ein enormer Wandlungsdruck, beispielsweise durch technologischen Fortschritt, demografischen Wandel oder jüngst durch die Covid19-Pandemie.
Effiziente und kostensparende Prozesse sowie ein wandlungsfähiges System besitzen somit eine hohe Relevanz für die Praxis, für Grund- sowie für Maximalversorger. Der Anspruch an die Forschungsergebnisse ist daher, dass sie für alle Versorgungsklassen gültig sind.
Fabriken produzieren – Krankenhäuser auch
Damit die Übertragung fabrikplanerischer Ansätze auf Krankenhäuser möglich ist, ist die Existenz von Analogien zwischen beiden Systemen die Grundvoraussetzung. Werden die Betrachtungsobjekte beider Systeme – Produkte und Patient*innen – gegenübergestellt, haben diese vermeintlich keine Gemeinsamkeiten. Jedoch sind Produktion beziehungsweise Behandlung durch übergeordnete Hauptprozesse vorbestimmt. Zudem kann für beide Betrachtungsobjekte eine Differenzierung vorgenommen werden: Für Fabriken in verschiedene Produktgruppen, für Krankenhäuser in verschiedene diagnosebezogene Fallgruppen. Für diese Gruppen ist außerdem eine weitere Unterteilung in Produktvarianten beziehungsweise individuelle Krankheitsbilder möglich.
Daraus folgt, dass in beiden Systemen mehrere Produktions- oder Behandlungsabläufe nebeneinander existieren und sich somit jeweils voneinander abweichende Arbeitsabläufe sowie komplexe Flussbeziehungen ergeben. Diese Gemeinsamkeiten erlauben die Arbeitshypothese, dass vereinfacht betrachtet nicht nur Fabriken, sondern auch Krankenhäuser „produzieren“ und die jeweiligen Systemzusammenhänge miteinander vergleichbar sind, sodass schlussendlich fabrikplanerische Ansätze auf Krankenhaussysteme übertragbar sind.
Leitprinzipien zur Flussorientierung und Wandlungsfähigkeit
Grundlegend für das Forschungsvorgehen ist die Beschreibung des Systems Krankenhaus. Damit die Gültigkeit der Forschungsergebnisse für alle Krankenhäuser sichergestellt werden kann, erfolgt zunächst eine allgemeingültige Klassifizierung in Grund- bis Maximalversorger sowie die Definition der Systemebenen und -bereiche und die Identifikation möglicher Gestaltungsobjekte.
Mithilfe der zuvor definierten Systemebenen und -bereiche wird dann ein ganzheitliches Prozess-Flussmodell entwickelt, von dem anschließend die Leitprinzipien zur idealen Anordnung der Krankenhausbereiche abgeleitet werden, welche die Flussorientierung in Krankenhäusern ermöglichen.
Auf Grundlage der bereits identifizierten Gestaltungsobjekte erfolgt daraufhin die Entwicklung eines Reifegradmodells zur Bewertung des Wandlungspotenzials eines Krankenhauses, um schließlich Leitprinzipien für wandlungsfähige Konzepte in den einzelnen Funktionsbereichen abzuleiten.
Projektunterstützung durch Partner aus der Praxis
Damit anwendungsorientierte Forschungsergebnisse erzielt werden können, sind zum einen Informationen aus der Praxis notwendig, um Leitprinzipien herzuleiten. Zum anderen sind diese abschließend durch Fallstudien und Workshops zu evaluieren. Eine Beteiligung aus der Krankenhauspraxis ist für die Durchführung des Forschungsprojektes daher erfolgsentscheidend. Als Partner für das Forschungsprojekt „MedFAP“ konnten verschiedene Medizinische Hochschulen und weitere Krankenhäuser begeistert werden, die ihre Unterstützung zugesagt haben und nun mit großem Interesse die Forschungsfortschritte verfolgen und begleiten.