Für produzierende Unternehmen ist es von großer strategischer Bedeutung und wichtig für den Unternehmenserfolg, die Prozesse der Produktionsplanung und -steuerung (PPS) auf zuvor definierte logistische Ziele auszurichten. Bei der Gestaltung der PPS-Prozesse stehen Unternehmen jedoch vor zahlreichen Herausforderungen wie Intransparenz und Komplexität. So ist schwer zu durchschauen, welche Parameter sich in welcher Weise auf die logistischen Zielgrößen auswirken – beispielsweise auf den Bestand, die Durchlaufzeit oder die Termintreue.
Zudem stehen Unternehmen vor Zielkonflikten: Wenn sie beispielsweise Sicherheitszeiten einplanen, also Aufträge bewusst vor dem eigentlichen Liefertermin fertigstellen wollen, dann verbessert sich die Termineinhaltung gegenüber dem Kunden. Zugleich steigen jedoch die Bestandskosten, da sich Materialien oder fertige Produkte länger in Lagerstufen befinden. Bisher fehlte eine übergeordnete und ganzheitliche Betrachtung der Wirkzusammenhänge zwischen der PPS und den logistischen Zielgrößen einer unternehmensinternen Lieferkette.
Neues Referenzmodell für die Produktionsplanung und -steuerung
Das Institut für Fabrikanlagen und Logistik (IFA) hat mit dem Hannoveraner Lieferkettenmodell ein neues Referenzmodell geschaffen, das die Wirkzusammenhänge zwischen den PPS-Aufgaben und den logistischen Zielgrößen der Kernprozesse einer unternehmensinternen Lieferkette kompakt darstellt. Für das Modell haben die Entwickler Vorarbeiten aufgegriffen, wie etwa das Aachener PPS-Modell und das Modell der Fertigungssteuerung.
In einem ersten Schritt haben die Forscher die Aufgaben der PPS allgemeingültig beschrieben und im Anschluss fünf Kernprozesse zur Abbildung einer unternehmensinternen Lieferkette definiert: Beschaffung, Produktionsvorstufe, Zwischenlager, Produktionsendstufe und Versand. Für jeden Kernprozess haben die Mitarbeiter des IFA die wesentlichen logistischen Zielgrößen identifiziert –beispielsweise Servicegrad, Auslastung oder Lieferzeit.
Zudem haben die Forscher Steuergrößen hinzugefügt, die die Zielgrößen beeinflussen, und dadurch spezifische logistische Zielsysteme aufgestellt. Anschließend haben sie aufgezeigt, wie die PPS-Aufgaben über die Steuergrößen auf die Zielgrößen wirken, und herausgearbeitet, welche Spannungsfelder zwischen den logistischen Zielgrößen vorliegen und bei der Erfüllung der PPS-Aufgaben beachtet werden müssen.
Im letzten Schritt haben die IFA-Mitarbeiter existierende quantitative logistische Modelle im Rahmenwerk des Hannoveraner Lieferkettenmodells verortet. Diese Modelle können Unternehmen zur Bestimmung von PPS-Parametern und darüber hinaus für die Positionierung ihrer Produktion in den beschriebenen Spannungsfeldern nutzen.
Gefördert wurde das Grundlagenforschungsprojekt durch die Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG).
Online für jedermann verfügbar
Um das Hannoveraner Lieferkettenmodell (HaLiMo) zu präsentieren und frei verfügbar zu machen, haben die Wissenschaftler die Webseite www.halimo.education eingerichtet. Dort kann der Nutzer frei durch das Gesamtmodell navigieren und sich auf die für ihn relevanten Inhalte konzentrieren. Mit einem Klick lässt sich für jede PPS-Aufgabe und jede logistische Zielgröße ein Steckbrief öffnen, der eine Definition und weitere Informationen enthält.
Die zahlreichen Verbindungen zwischen den PPS-Aufgaben und den logistischen Zielgrößen sind ebenfalls implementiert, sodass der Nutzer anschaulich erfassen kann, wie sich seine Entscheidungen auf die logistischen Zielgrößen auswirken. Spannungsfelder zwischen logistischen Zielgrößen werden in den Steckbriefen ausführlich erläutert. Außerdem wird aufgezeigt, welche Ansätze zur Verfügung stehen, um PPS-Parameter zielkonform zu bestimmen und dadurch eine bewusste Positionierung in den Spannungsfeldern vorzunehmen.
Die Webseite zum Hannoveraner Lieferkettenmodell ist somit ein innovatives Tool für Mitarbeiter aus Industrieunternehmen, Studierende sowie Wissenschaftler, die sich mit dem Thema PPS befassen möchten.
Vielseitiger Einsatz in Industrie, Hochschullehre und Wissenschaft
Industrieunternehmen können das Modell nutzen, um ihre PPS-Prozesse zu analysieren, zu optimieren oder neu zu gestalten. Durch die Abbildung der Wirkzusammenhänge zwischen den Aufgaben der PPS und den logistischen Zielgrößen sind Unternehmen in der Lage, die Konfiguration ihrer PPS zu hinterfragen und Entscheidungen bewusst zu treffen. Das Hannoveraner Lieferkettenmodell findet bereits bei namhaften Industrieunternehmen Anwendung – beispielsweise bei einem Technologieunternehmen aus der Baubranche und einem Hersteller von Haushaltsgeräten.
Auch in der Hochschullehre des IFA werden das Hannoveraner Lieferkettenmodell und die Homepage bereits aktiv genutzt. Die Vorlesung "Produktionsmanagement" wurde analog zum Hannoveraner Lieferkettenmodell neu strukturiert und durch neue Inhalte aus dem Forschungsprojekt ergänzt. Studierende können die Homepage als eine Art Nachschlagewerk für die Nachbereitung einer Vorlesung oder die Vorbereitung einer Klausur benutzen.
Darüber hinaus wird das Hannoveraner Lieferkettenmodell in Schulungen für Fach- und Führungskräfte in der IFA-Lernfabrik eingesetzt. Außerdem kann das Hannoveraner Lieferkettenmodell zur Einordnung und Strukturierung von wissenschaftlichen Fragestellungen genutzt werden.
www.halimo.education