Seit dem Jahreswechsel 2020/2021 fallen immer mehr Windenergieanlagen (WEA) in Deutschland aus der 20-jährigen Förderperiode des EEG (Erneuerbare-Energien-Gesetz). Allein in der Zeitspanne der Jahre 2020 bis 2030 betrifft dies etwa 15.000 Altanlagen. Viele Anlagenbetreiber stehen daher aktuell oder in naher Zukunft vor der Frage, wie sie nach Ablauf der EEG-Förderung mit ihren Anlagen weiterverfahren sollten. Sind diese dann noch wirtschaftlich weiterzubetreiben oder werden sie vollständig zurückgebaut, gegebenenfalls im Rahmen eines Repowerings? Und falls die Altanlagen weichen müssen, was passiert anschließend mit ihnen? Werden sie weiterveräußert oder gar verschrottet beziehungsweise recycelt?
Erforschungen der Nachnutzungsstrategien im BMWK-Verbundprojekt „TransWind“
Auf diese und viele weitere Fragen möchten die Konsortiumsmitglieder des BMWK-Verbundprojektes „TransWind“ Antworten finden. Sie verfolgen dabei das Ziel, die End-of-Life-Thematik auf Mikro- und Makroebene transdisziplinär zu analysieren, um Akteure aus Politik, Windbranche sowie Ressourcen- und Kreislaufwirtschaft bei der Auswahl von Nachnutzungsstrategien zu unterstützen.
Transdisziplinär geschieht dies insofern, als dass sich das Projektkonsortium aus mehreren Forschungsinstituten und Unternehmen unterschiedlicher Fachrichtungen zusammensetzt. Neben dem IPH – Institut für Integrierte Produktion Hannover gGmbH sind zudem Institute der Leibniz Universität Hannover am Projekt beteiligt, namentlich das Institut für Statik und Dynamik (ISD) sowie das Institut für Wirtschaftsinformatik (IWI). Zu den projektbeteiligten Unternehmen zählt unter anderem die Nefino GmbH, die sich auf die Planung und Entwicklung von Wind- und Solarparks spezialisiert hat.
Analyse der Wiederverkaufswerte der Altanlagen anhand von Daten einer Handelsplattform
Ein Aspekt, der in dem Forschungsprojekt untersucht wird, ist die Frage nach dem Zweitmarktpotenzial der Altanlagen, gemessen an den entsprechenden Wiederverkaufswerten. Dies ist von großer Bedeutung bei der Entscheidungsfindung einer geeigneten Nachnutzungsstrategie, da der Erlös, der durch eine potenzielle Veräußerung erzielt werden kann, unmittelbare Auswirkungen auf die Gesamtwirtschaftlichkeit der Strategien hat.
Um Antworten auf die Frage der Wiederverkaufswerte liefern zu können, werten Wissenschaftler*innen des IPH derzeit umfangreiche Datensätze aus, die von der globalen online-Handelsplattform für Windenergieanlagen wind-turbine.com zur Verfügung gestellt wurden. Auf der Plattform werden primär gebrauchte Windenergieanlagen sowie deren Großkomponenten gehandelt. Dadurch konnten im Laufe der vergangenen Jahre umfassende Daten zu Angeboten und Gesuchen zusammengetragen werden, darunter auch die jeweiligen Budgetvorstellungen der Nutzer*innen hinsichtlich unterschiedlicher Anlagentypen.
Datenaufbereitung und -auswertung durch den Einsatz von Data-Science-Methoden
Zur Auswertung der Daten setzen die Wissenschaftler*innen des IPH auf Data-Science-Methoden in der Programmiersprache Python. Durch den Einsatz integrierter Machine-Learning-Algorithmen können Modelle abgeleitet werden, die die Wiederverkaufswerte der WEA basierend auf unterschiedlichen Input-Merkmalen wie Hersteller, Größe oder Alter prognostizieren können.
Doch bevor jene Machine-Learning-Modelle zuverlässig trainiert werden können, bedarf es zunächst einer systematischen Aufbereitung der Daten (Engl. data preprocessing). Dazu zählen Aufbereitungsschritte wie das Entfernen von Ausreißerwerten, der Umgang mit fehlenden Werten, die Kodierung kategorischer Merkmale und das Skalieren numerischer Merkmale. Einige dieser Schritte sind im Hinblick auf die zur Verfügung gestellten Daten besonders wichtig, da die Datenerhebung durch die Plattform auf überwiegend uneingeschränkten Eingaben der Nutzer*innen beruht. Die angedeutete Inhomogenität der Daten verdeutlicht auch eine Visualisierung fehlender Werte in Bild 2 (weiß bedeutet fehlende Werte). Um valide Modelle ableiten zu können, ist es daher entscheidend, entsprechende Aufbereitungsschritte zielgerichtet vor dem Anlernen der Modelle durchzuführen. Die Python-Bibliothek scikit-learn liefert eine Vielzahl an Modulen, die Data Scientists dabei maßgeblich unterstützen.
Interessante erste Erkenntnisse liefert beispielsweise eine Gegenüberstellung der unterschiedlichen Verteilung der Budgetvorstellungen von Angeboten (Verkäufern) und Gesuchen (Käufern) mit Hilfe von Boxplots (siehe Bild 3). Dies lässt vermuten, dass potenzielle Käufer grundsätzlich bereit sind mehr zu zahlen, als von den potenziellen Verkäufern für die Altanlagen verlangt wird.
Weitere aufschlussreiche Erkenntnisse liefert eine Aufschlüsselung der Budgetvorstellungen der Nutzer*innen je nach Hersteller (siehe Bild 4). Dies verdeutlicht zudem, dass WEA namhafter Hersteller wie Enercon oder Vestas durchaus ansehnliche Erlöse auf dem Zweitmarkt generieren können.
Nächste Schritte im Rahmen der Analyse der Wiederverkaufswerte
Nach erfolgter intensiver Datenaufbereitung, explorativer Sichtung und Visualisierung, umfassen die nächsten Schritte der IPH-Wissenschaftler*innen die Entwicklung und Bewertung unterschiedlicher Machine-Learning-Modelle zur zuverlässigen Prognose der Zweitmarktwerte der WEA.
Das Ziel besteht letztlich in der Bereitstellung der Modelle innerhalb eines ganzheitlichen, kostenfreien Software-Tools des TransWind-Forschungsprojektes. Anwender können dieses Tool zukünftig einsetzen, um standortbasiert und unter Berücksichtigung weiterer spezifischer Einflussfaktoren die ideale Nachnutzungsstrategie für ihre WEA zu identifizieren.